Kolumba
Kolumbastraße 4
D-50667 Köln
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»Arg prosaisch ist die Kunst geworden. Dass sie ursprünglich aus kultischen Zusammenhängen stammt, mit einem Fuß sozusagen im Hier und Jetzt, mit dem anderen im Jenseits steht, das möchte man kaum noch für wahrscheinlich halten.… Ein vom Ansatz her interessantes und im Resultat recht überzeugendes Projekt stellen deshalb die thematischen Ausstellungen im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln dar.… Dabei gerät der Parcours jedoch nie zum kultur- oder, schlimmer noch, religionsgeschichtlichen oder theologischen Lehrpfad.Ganz im Gegenteil, die einzelnen Exponate stehen weitgehend für sich. Ja, selbst die höchst notwendigen Titelinformationen (samt sparsamer Interpretation) sind in ein kleines Begleitbüchlein ausgelagert, das so zu einer höchst willkommenen Ergänzung wird, um die einzelnen kleineren wie großen Schätze der in ihrer Art ziemlich außerordentlichen Kunstsammlung ein- und zuzuordnen. Denn da geraten in einer Vitrine eine konzeptionell-biografistische Telegrammsammlung von On Kawara (I am still alive, 1978) mit einem italienischen Stundenbuch von 1495 aneinander. Da rahmen exzentrisch surrealistische Kompositionen Andor Weiningers aus dem Zeitraum zwischen 1928 und 1946 den sensationell fein in Holz und Elfenbein geschnitzten „Hl. Michael“ des Münchner Barockbildhauers Simon Troger von 1725 oder einen Allgäuer „Marientod“ aus dem frühen 16. Jahrhundert. Freilich besticht dieser Rundgang vor allem deswegen, weil er Arbeiten zeigt, die zumal in der Sammlung eines prominenten Diözesanmuseums überraschen mögen. Das sind nicht die Abstraktionen eines Eduardo Chillida, eines Phil Sims und sogar eines Richard Serra, die die Krux einer jeglichen Abstraktion vor Augen führen, die ihr Heil gegen die Gefahr des allzu Arbiträren ungegenständlichen Arbeitens im Überschwänglich-Sublimen sucht. Wo Linie, Farbe, Material auf einmal sehr viel mehr sein wollen, als diese tatsächlich in die Waagschale werfen. Tatsächlich spektakulär ist die physische Präsenz, das atmosphärische Echo und in schwere Bronze fixierte Protokoll schöpferischen Prozesses oder auch künstlerischer Gestaltung, das Heinz Brelohs kolossale Lebensgröße (1995) vermittelt. Damals hatte sich der Künstler mit tänzerischer Eleganz und ungeheurer körperlicher Wut in den Gips gerieben, eingedrückt, ihn in Form, zum Model für den späteren Bronzeguss gezwungen. Eine Gestaltungsweise, die künstlerische Idee gegen das stumpfe Material in Stellung bringt, die dem Momentanen eine Dauer, der schöpferischen Bewegung ein materielles Gewicht verleihen sollte. Physisch ist diese Plastik, drastisch, diesseitig. In der Anwesenheit von Körper, Sex und Leben ähnlich beunruhigend wie Paul Theks mittlerweile fast vierzig Jahre alter Fishman in Excelsis Table – hier dramatisch beleuchtet, suggestiv von der Decke abgehängt. Zwar auch naturalistischer Körperabguss, wirkt Paul Theks Werk dennoch ungleich zerfaserter, ist dieser Leib zudem von Fischen und wächsernen Fleischstücken umgeben, in Leinentüchern, ja regelrechten Lumpen unter einen Tisch gebunden. In Kombination mit den hybrid-skulpturalen Möbelrequisiten und verstörend dysfunktionalen Prothesen aus Paul Theks „A Procession in Honor of Aesthetic Progress: Objects to Theoretically Wear, Carry, Pull or Wave“ (1968) findet der Parcours hier seinen dramaturgischen und qualitativen Höhepunkt. Paul Theks Kunst ist auch seinem Leben geschuldet. Teils kollektiv, im Zuge eines zugleich existenziellen wie künstlerischen Experiments gemacht, könnte diese Kunst kaum künstlicher sein. Sie ist im besten Sinne Fiktion – und wirkt dennoch ganz unmittelbar. Eine recht prosaische Angelegenheit ist die Kunst. Sie muss es sein. Ihr Rätsel freilich, das Rätsel ihres Wesens wie ihrer Wirkung nimmt genau da ihren Anfang. Und es kann ausgerechnet in einem Diözesanmuseum passieren, dass wir uns davon einen hervorragenden Eindruck machen können. Dass die Kunst sie selbst sein darf, ohne Lehranspruch in einen kuratorischen oder ideologischen Kanon gezwängt zu werden. Dass sie um ihrer selbst betrachtet werden darf, ohne dass ein wie auch immer gearteter Wert wie eine Monstranz vor ihr hergetragen würde.« (Hans-Jürgen Hafner, Der Spagat des Kardinals, in: artnet, online-magazin, 11.8.2009)

 
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»Arg prosaisch ist die Kunst geworden. Dass sie ursprünglich aus kultischen Zusammenhängen stammt, mit einem Fuß sozusagen im Hier und Jetzt, mit dem anderen im Jenseits steht, das möchte man kaum noch für wahrscheinlich halten.… Ein vom Ansatz her interessantes und im Resultat recht überzeugendes Projekt stellen deshalb die thematischen Ausstellungen im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln dar.… Dabei gerät der Parcours jedoch nie zum kultur- oder, schlimmer noch, religionsgeschichtlichen oder theologischen Lehrpfad.Ganz im Gegenteil, die einzelnen Exponate stehen weitgehend für sich. Ja, selbst die höchst notwendigen Titelinformationen (samt sparsamer Interpretation) sind in ein kleines Begleitbüchlein ausgelagert, das so zu einer höchst willkommenen Ergänzung wird, um die einzelnen kleineren wie großen Schätze der in ihrer Art ziemlich außerordentlichen Kunstsammlung ein- und zuzuordnen. Denn da geraten in einer Vitrine eine konzeptionell-biografistische Telegrammsammlung von On Kawara (I am still alive, 1978) mit einem italienischen Stundenbuch von 1495 aneinander. Da rahmen exzentrisch surrealistische Kompositionen Andor Weiningers aus dem Zeitraum zwischen 1928 und 1946 den sensationell fein in Holz und Elfenbein geschnitzten „Hl. Michael“ des Münchner Barockbildhauers Simon Troger von 1725 oder einen Allgäuer „Marientod“ aus dem frühen 16. Jahrhundert. Freilich besticht dieser Rundgang vor allem deswegen, weil er Arbeiten zeigt, die zumal in der Sammlung eines prominenten Diözesanmuseums überraschen mögen. Das sind nicht die Abstraktionen eines Eduardo Chillida, eines Phil Sims und sogar eines Richard Serra, die die Krux einer jeglichen Abstraktion vor Augen führen, die ihr Heil gegen die Gefahr des allzu Arbiträren ungegenständlichen Arbeitens im Überschwänglich-Sublimen sucht. Wo Linie, Farbe, Material auf einmal sehr viel mehr sein wollen, als diese tatsächlich in die Waagschale werfen. Tatsächlich spektakulär ist die physische Präsenz, das atmosphärische Echo und in schwere Bronze fixierte Protokoll schöpferischen Prozesses oder auch künstlerischer Gestaltung, das Heinz Brelohs kolossale Lebensgröße (1995) vermittelt. Damals hatte sich der Künstler mit tänzerischer Eleganz und ungeheurer körperlicher Wut in den Gips gerieben, eingedrückt, ihn in Form, zum Model für den späteren Bronzeguss gezwungen. Eine Gestaltungsweise, die künstlerische Idee gegen das stumpfe Material in Stellung bringt, die dem Momentanen eine Dauer, der schöpferischen Bewegung ein materielles Gewicht verleihen sollte. Physisch ist diese Plastik, drastisch, diesseitig. In der Anwesenheit von Körper, Sex und Leben ähnlich beunruhigend wie Paul Theks mittlerweile fast vierzig Jahre alter Fishman in Excelsis Table – hier dramatisch beleuchtet, suggestiv von der Decke abgehängt. Zwar auch naturalistischer Körperabguss, wirkt Paul Theks Werk dennoch ungleich zerfaserter, ist dieser Leib zudem von Fischen und wächsernen Fleischstücken umgeben, in Leinentüchern, ja regelrechten Lumpen unter einen Tisch gebunden. In Kombination mit den hybrid-skulpturalen Möbelrequisiten und verstörend dysfunktionalen Prothesen aus Paul Theks „A Procession in Honor of Aesthetic Progress: Objects to Theoretically Wear, Carry, Pull or Wave“ (1968) findet der Parcours hier seinen dramaturgischen und qualitativen Höhepunkt. Paul Theks Kunst ist auch seinem Leben geschuldet. Teils kollektiv, im Zuge eines zugleich existenziellen wie künstlerischen Experiments gemacht, könnte diese Kunst kaum künstlicher sein. Sie ist im besten Sinne Fiktion – und wirkt dennoch ganz unmittelbar. Eine recht prosaische Angelegenheit ist die Kunst. Sie muss es sein. Ihr Rätsel freilich, das Rätsel ihres Wesens wie ihrer Wirkung nimmt genau da ihren Anfang. Und es kann ausgerechnet in einem Diözesanmuseum passieren, dass wir uns davon einen hervorragenden Eindruck machen können. Dass die Kunst sie selbst sein darf, ohne Lehranspruch in einen kuratorischen oder ideologischen Kanon gezwängt zu werden. Dass sie um ihrer selbst betrachtet werden darf, ohne dass ein wie auch immer gearteter Wert wie eine Monstranz vor ihr hergetragen würde.« (Hans-Jürgen Hafner, Der Spagat des Kardinals, in: artnet, online-magazin, 11.8.2009)