Kolumba
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»Im Kölner Kolumba ist nach der Krise vor der Krise. Kaum etwas hat sich geändert. Laut und voll ist es hier in dem edel-funktional dienenden Zumthor-Bau nie, jetzt soll man sich eigene Kopfhörer mitbringen, denn die hauseigenen sind ausgehängt; eingangs wäscht man sich die Hände. Das von Stefan Kraus intelligent wie intuitiv geleitete Haus wechselt nur einmal im Jahr die Ausstellung, was Besucherstürme generell ausschließt. Gearbeitet wird fast ausschließlich mit Werken der Sammlung. Hier gehen der Kenner und der Genießer hin. Immer wird man fündig in stimmigen Rauminszenierungen, vor aussagestarken Einzelwerken. In der laufenden Ausstellung untersucht das Kunstmuseum des Erzbistums Köln unter dem Titel „1919 49 69ff. Aufbrüche“, wie Künstler mit ihren Werken auf historische Umbruchszeiten reagieren und Visionen entwickeln.« (Annette Bosetti, Achtung Blumensprengung [Drei Museumsrundgänge in Corona-Zeiten], Rheinische Post online, 12.6.2020)

»Wenn zwei Tänzer zum "Pas de deux" ansetzen, dann sind Höhepunkte zu erwarten. Der eine wie der andere Part gibt nur das Beste. Aus der Verschmelzung zweier Bester entsteht meist etwas Allerbestes. Berührendes. Ein Miteinander und ein Zwiegespräch. Ganz ohne Worte mit allerfeinstem künstlerischen Ausdruck. An diesen Höhepunkt des klassischen Balletts haben zwei Kölner Museumsdirektoren gedacht, als sie vor drei Jahren Pläne schmiedeten, ihre Spitzenstücke in eine gemeinsame Choreographie zu setzen. Der eine, Marcus Trier, wollte sich eine Denkpause verordnen. Und er war dabei von einer gewissen Not getrieben, da sich sein Römisch-Germanisches Museum in eine Sanierungsphase begab. Der andere, Stefan Kraus, wollte gerne einmal Gastgeber sein. Sein Prinzip des lebenden Museums im Kolumba noch verstärken, noch lebendiger werden lassen, indem für die Dauer eines Jahres zwei Museumssammlungen aufeinanderprallen. | "Pas de deux" wurde als impulsgebender Name gesetzt, dem künstlerischen wie emotionalen Höhepunkt des Balletts entlehnt und darüber hinaus auf das erquickliche Hin und Her zwischen Antike, Mittelalter und Moderne hinweisend. Die Absicht dieses historisch abwechslungsreichen Spiels: Acht Kuratoren möchten in einer zunehmend bedrohlicher werdenden Welt die vielfältigen Aspekte des Menschseins präsent halten. | Wo sie das Menschsein festmachen? Dank der reichen Kunstschätze beider Kölner Häuser können sie aus Mythos und Gegenwart schöpfen, aus Zeit und Raum, Kostbarkeit und Transzendenz, Selbstwahrnehmung und kollektivem Handeln. Aus nahezu allem, was das Menschsein und die Gesellschaft ausmacht. | Die Räume im Kolumba haben heimliche Überschriften. So betritt man mit Nummer 7 einen "Schnörkelraum", der im "Pas de deux" zum prächtigen Ballsaal wird. Der Kölner Schnörkel war in der Antike ein Markenzeichen erster Güte, eine geformte Wellenlinie, die in der Ziffer 7 ausläuft - von der Bedeutung her vergleichbar dem, was heute das Apple-Logo ist. Im Schnörkelraum wird die Geste des zeichnenden Menschen untersucht und in kostbaren Zeugnissen belegt. Antike Gefäße werden mit Zeichnungen von Hubert Berke aus den 1940er Jahren konfrontiert, dessen Verfahren aus reiner Experimentierlust getrieben waren. Hinterglasmalerei von Werner Schriefers gesellt sich dazu, der in seinen "Smogblüten" das blinde Malen austarierte. | Das mag alles sehr theoretisch klingen und braucht doch beim Rundgang im Kolumba nicht wegweisend zu sein. In jeder Aufstellung des Tanzes begegnet man immer Einzelstücken, die die Schaulust befriedigen. Im zentralen großen Raum angekommen, sieht man auf eine Sammlung römischer Töpferkunst. Auf dem zentralen Podest hat man Weißtonkrüge, Tafelgeschirr und Kakao-Kannen arrangiert. An den Wänden treiben Anna und Bernhard Blume auf Fototafeln ihre "Vasenextase" - ein aberwitziger philosophischer Dialog über die vertrackten Verhältnisse im Alltag. | In Raum 20 gelingt der Sprung ins 20. Jahrhundert, das Thema ist das Menschsein, auch Körperlichkeit. Rebbeca Horn, bekannt für ihre Body Art und Performances, untersucht in Kurzfilmen das Tasten der Hände, wenn man diese mit Federn verlängert. Sie stellt Hierarchien der Sinne auf. Ihre Tanzpartnerin zur Rechten ist eine kopflose Venus, die nach ihrer Erschaffung im frühen 2. Jahrhundert von Italien nach Köln gelangte. In einer Villa diente sie lange Zeit als Dekoration. Vor ihrer Wiederentdeckung durch die Restauratoren lag sie zerschlagen, den Rücken zur Straßenoberfläche gerichtet, unter dem Pflaster der Hohe Straße in Köln. | Ein Schaustück der besonderen Güte ist Felix Droeses Skulptur "De drie naakte vrouwen": Figuren, die er abstrahiert aus Ulmenholz geschnitzt und auf einem Floß aufgestellt hat. Dort, wo beim Menschen das Herz sitzt, hat der Bildhauer die Bretter durchbohrt. Der Gedanke der ewigen Fahrt des Lebens findet Ergänzung in einem luxuriösen Bernsteinschiffchen aus dem 3. Jahrhundert. Drei Eroten sind deren Fahrgäste. "Lebe glücklich" lautet die Inschrift - und ihre Mission. | Weitere Botschaften finden sich in einem der kostbarsten Stücke, das das Römisch-Germanische Museum ausquartiert hat. In purpurfarbenen Buchstaben steht auf einem Diatretglas aus dem 4. Jahrhundert auf Griechisch der Trinkspruch: "Trinke, lebe schön immerdar".Die Entdeckung, 1960, war für Köln ein Glücksfall. "Wir sind die einzige Millionenstadt mit 2000 Jahren Stadtgeschichte - davon können Berlin und München nur träumen", sagte Marcus Trier gestern vor der Presse. "Köln hat die Taschen voll."« (Annette Bosetti, Im Kolumba tanzt die Moderne mit der Antike, in: Rheinische Post, 14.9.2017)

»Als Peter Zumthor das Kunstmuseum Kolumba plante, lag ihm nichts ferner, als einen "Bilbao-Effekt" zu produzieren. Was in der nordspanischen Stadt am Meer Millionen Besucher aus aller Welt anzuziehen vermochte, nämlich der 1997 fertiggestellte, äußerst spektakuläre Museumsneubau von US-Architekt Frank O. Gehry, sollte im Rheinland keine Nachahmung erfahren. Das selbstbewusste Köln brauchte so etwas nicht. Und der für seine eigenwilligen Lösungen preisgekrönte Architekt wollte es nicht. Ihm schwebte das Gegenteil vor. Kolumba, das im September runden Geburtstag feiert und jährlich etwa 60.000 Besucher und 500 Gruppen anzieht, wurde vor zehn Jahren mit vielen "Kein-Qualitäten" eröffnet: Es sollte keine Marketingmaschinerie bedienen. So gab es kein Café und keine Events, keine Hinweisschilder auf die Kunst und so gut wie kein Kunstlicht. Es wird kein Eintritt fällig bei Menschen bis 18 Jahre, und es gibt nie Führungen zu den regulären Öffnungszeiten. Anders als im Kunstrummel des baskischen Bilbao herrscht im Kölner Kunstbetrieb Stille, fast möchte man von Andacht sprechen. Als "Museum der Nachdenklichkeit" ist das inspirierende Haus in Trägerschaft des Kölner Erzbistums überschrieben. Architekt und Museumsteam sagen wie aus einem Munde: "Wir glauben an die spirituelle Kraft von Kunst." Ein ungeheuerliches Statement, das selten zu hören ist in unserer von Marketingmaßnahmen und Vermittlungskonzepten überwucherten Zeit. Tatsächlich fällt das Resümee im zehnten Jahr positiv aus. "Wir lieben das Haus", sagt Direktor Stefan Kraus, "es hat sich bewährt." Klingt das vielleicht ein wenig zu satt, dann kommt der Zusatz von Kraus gerade recht, dass man in all den Jahren sowie in Zukunft die Institution Museum immer wieder aufs Neue be- und hinterfrage. Extra habe man Kolumba damals bei der Eröffnung nicht den starren Zusatz "Museum" angehängt, damit andere Kulturtechniken wie die Musik, die Literatur, das Theater ebenfalls Raum erhalten und in den Dialog mit Kunst und Architektur eingreifen. Für Kraus ist ein Museum ohne Klang einfach unvorstellbar. Gemeinsam mit dem Architekten hat er einen langgehegten Plan verwirklichen können und hält einen der emotionalsten Orte im Haus, die 900 Quadratmeter umfassende Erinnerungslandschaft über der Ausgrabungsstätte, mit einer künstlerischen Intervention lebendig. Die Vorarbeit dazu liegt ein Vierteljahrhundert zurück und führt tief in die Geschichte des historischen Ortes, an dem Kolumba errichtet wurde. Römische, merowingische, romanische und gotische Spuren wurden erhalten und neu inszeniert. Über einen roten Steg in Zack-Zack-Form erschließt sich dieser dunklere Museumsraum, der mit einem schweren Ledervorhang vom Entree abgeteilt ist. Für hunderte Tauben war die Ruine von Kölns ältester, im Zweiten Weltkrieg ausgebombter Pfarrkirche ein Zuhause. Das Trümmergrundstück von St. Kolumba war einst ein verwunschener Ort und das Paradies der Vögel, die dort brüteten, gurrten und manch Unliebsames hinterließen. Der Gesang dieser Kölner Tauben sollte aufgenommen und für die Ewigkeit festgehalten werden. Damit beauftragte der damalige Kustos und heutige Direktor weitsichtig den US-Künstler Bill Fontana. Heute ist es eines der feinen leisen Elemente in der Gesamtkonzeption des Hauses. Man muss schon die Ohren spitzen, um herauszufinden, dass Zeit und Erinnerung in dieser Klanginstallation eine Rolle spielen. Das Gurren der Tauben klingt nicht anders, als man es kennt, doch so eine Autohupe wie die, die alle 20 Minuten von Neuem erklingt, gibt es heute nicht mehr. Das hört man sofort. Vielfach verschmilzt die Zeit in diesem Haus, das Vergangene mit der Gegenwart. Bis hinauf in die oberste Etage hält das an. Uralte Kunst, darunter sakrale und liturgische Kostbarkeiten aus vielen Jahrhunderten, wird konfrontiert mit zeitgenössischen Positionen. Dazu gehört Mut. Wie man hört, lässt das Erzbistum alle inhaltliche Freiheit. Als "vertikales Museum" versteht sich Kolumba, in das versetzt zwei enge Treppenaufgänge eingezogen wurden, um die zwölf Meter an Höhe zu überwinden, die über das Dach der angrenzenden Gottfried-Böhm-Kapelle führen. Ein Besuch von Kolumba ist anregend und anstrengend. Man durchwandert beim Kunstschauen die Architektur, erlebt die steinernen Zeugen von Kulturen und erfasst die vielfachen Reibungen von Gegenwartskunst mit den Schätzen der Vergangenheit. "Der Aufstieg im Haus verläuft parallel zur geistigen Erhebung", sagt Kraus, "im besten Fall gewinnt man Transzendenz, gelangt von der Erde in den Himmel." Am nächsten Wochenende stehen einmal nicht die Kunst und die kostbare Sammlung im Mittelpunkt, sondern die ausgezeichnete Architektur. An den Wänden hängen derzeit keine Bilder, die Räume sind fast leer. Unter Bäumen, im Hof über dem mittelalterlichen Friedhof, lässt sich gut nachdenken. Eine Pause im prächtigen Lesezimmer ist sicher auch drin. Nur für den Kaffee muss man nach nebenan gehen. Stefan Kraus hat seine eigenen Lieblingsplätze im Haus, "das hängt vom Licht ab, von der Tages- und Jahreszeit." Gern will er endlich mal einen großen Wunsch aussprechen, den er zum Geburtstag hat: "Ein Haus wie unseres braucht Unterstützung!" Das Erzbistum könne nicht alles leisten. Um die Sammeltätigkeit fortzuführen und auf dem hochpreisigen Kunstmarkt wichtige Ankäufe vornehmen zu können, bittet er künftig um noch mehr Zuwendungen - nicht nur um Lob und Aufmerksamkeit, sondern um Mittel. (Annette Bosetti, Kolumba und die spirituelle Kraft der Kunst, in: Rheinische Post, 18.8.2017)

»Zwei Stunden sollte man sich schon Zeit nehmen. Am Ende des Rundgangs durch das Museum der Nachdenklichkeit ist man erschöpft und gleichsam erfüllt, angeregt und tatsächlich nachdenklich. Im zehnten Jahr zeigt das Kunsthaus am Dom in seiner aparten architektonischen Hülle eine Jahresschau, die starke Assoziationen und Emotionen freisetzt. Es geht um den Menschen, der als Individuum befragt wird. Was macht ihn aus, und was prägt ihn? Wie gebärdet er sich heute und künftig in einer zunehmend von Terror und Unsicherheit geprägten Welt? Im weitesten Sinne ist diese Ausstellung sogar politisch. | Kein Mensch ist wie der andere, dieses Besondere jedes Individuums drückten zeitlebens Künstler in verschiedener Manier aus und fanden mannigfaltigen Ausdruck dafür. Der Mensch oder sein Antlitz wurden nachgebildet, fratzenhaft verfremdet, überhöht oder karikiert. Der Körper, die Pose, das Umfeld, die Gruppe und die Positionierung, all das Formale rückt das Individuum in seine Zeit, in Freude und Not. | Von der Vielfalt und dem Wesentlichen, von der Tiefe und dem Charakteristischen des Subjekts lebt die Ausstellung "Me in a no-time state" - Über das Individuum". Wie immer im Kolumba erregt die Schau durch das Prinzip, Dialoge zu eröffnen. Zwischen der Sammlung des Erzbistums und angedockten Leihgaben, zwischen Alt und Neu, Figurativ und Abstrakt, mittelalterlicher Plastik und zeitbasierten Medien. | Der krasseste Dialog dürfte sich entwickeln zwischen der feingeschnitzten Lindenholz-Skulptur zur Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit aus dem 17. Jahrhundert und dem aus fünf rau gemalten Bildern bestehenden titelgebenden Diptychon "Me in a no-time state" von Chris Newman. Newman (Jahrgang 1958) zieht als Kopist durch die Bildfelder von Kollegen, malt Motive von Munch oder Matisse mit reduzierten Mitteln neu, um sie, wie er angibt, zu überwinden. Seine Konfrontation mit der christlichen Skulptur wirft jedenfalls Fragen auf. | Gleich am Eingang steht im Kolumba traditionell ein programmatisches Werk: Eine Armada von Robotern ist es dieses Mal, 100 Exemplare mit unterschiedlichen Reifegraden, gesammelt von der Künstlerin Krimhild Becker und in Vitrinen verstaut. Emiglio zum Beispiel ist ein weißer serviler Maschinenmensch, ferngesteuert. Er kann immerhin Kaffee servieren. Muss uns die rasante Entwicklung von Robotern Angst machen - oder hoffen wir heimlich auf mehr Hilfestellung? | Viele kostbare Heiligenfiguren begegnen uns, komplex gebaute Künstlerräume, Lebenswerke, Videokabinette, Votivgaben, Goldschmiedekunst, Einraum-Möbel, Vitrinen mit Andachtsbildchen oder solche Kostbarkeiten wie die 25 aus Sandstein geschlagenen Archivoltenfiguren vom Petersportal des Kölner Domes. 600 Jahre lang haben sie auf die in die Kirche strömenden Menschen hinabgeschaut. Dass Georg und Gregorius, der Prophet oder der Engel jetzt ausnahmsweise im Museum auf hohen Stelen Platz nehmen dürfen, ist dem Umstand zu verdanken, dass seit 1978 die Sitzfiguren in den Bogenläufen des rechten Seitenportals wegen zunehmender Verwitterung durch Kopien ersetzt wurden. Nun hat das Domkapitel seine Figuren ins benachbarte Museum entsendet. Im großen mit Tageslicht beleuchteten Saal bilden sie eine eingeschworene Gemeinschaft. Anlass der Ausstellung, so erzählt es Museumsdirektor Stefan Kraus, war die nach sieben Jahren abgeschlossene Restaurierung der spätmittelalterlichen Skulpturengruppe der "Vier Gekrönten". "Nette Kerlchen" nennt er sie, und meint das bewundernd, denn restauratorisch ist dem Kolumba eine kleine Sensation gelungen. Bildhauer, Werkmeister, Steinmetz und Polier stammen aus dem Epitaph des Dombaumeisters Nikolaus von Bueren. Sie werden auf Anfang des 15. Jahrhunderts datiert und Konrad Kuyn zugeschrieben. Der Aufwand zur Restaurierung war enorm, zwei Restauratorinnen haben über sieben Jahre täglich drei Stunden an den Skulpturen geforscht und restauratorisch eingegriffen. Heute erkennt man: Der Bildhauer, der das Plakat zur Ausstellung schmückt, war ein Bürger von großem Selbstbewusstsein. Überhaupt zeige sich, so Kraus, an den vier Figuren aus Baumberger Sandstein, wie hoch Mitte des 15. Jahrhunderts schon das Maß der Individuation in der Kunst war. | 65.000 Besucher bekunden dem Kolumba jährlich ihren Respekt. Bis zum nächsten Herbst werden sie wieder hinschauen, Kunst erleben. Stefan Kraus, für den Besucherzahlen nach eigenen Angaben keine Relevanz haben, freut sich, wenn sich die Menschen auf Spurensuche in seinem Haus begeben. Er will Deuter des Abstrakten sein. (Annette Bosetti, Von Robotern und Heiligen, in: Rheinische Post, 14.9.2016)

»"Komm, erzähl mir was", singt Herbert Grönemeyer in "Halt mich", einer seiner poetischsten Balladen. Diese Aufforderung hat wohl auch der Leiter des Kolumba-Museums in Köln gehört. Stefan Kraus verlegt sich auf Geschichten, nennt die neunte Jahresausstellung "Der rote Faden – Ordnungen des Erzählens" und untersucht in seinen stillen Räumen die Kraft von Kunst. Das ganze Leben ist Erzählung, sagt er. Die rund 200 Bilder, Radierungen, Skulpturen, Bücher, Videoarbeiten und Installationen sollen darauf befragt werden, was sie preisgeben, wie sie das tun und wovon sie letztlich künden. Anlass zu diesem Thema gab der 20-teilige spätmittelalterliche Bilderzyklus zu Leben, Wirken und Sterben des heiligen Severin. Da die Severinskirche saniert wird, hätten die Bilder ins Depot wandern müssen. Davor hat sie das Kuratorenteam bewahrt und sie zum Herzstück der neuen Ausstellung erklärt. Mitglieder des Kölner Kanonikerstiftes hatten um 1500 diesen prächtigen Bilderreigen in Auftrag gegeben, der in vier Jahren entstand. Grundlage war eine um 900 verfasste Vita des dritten Kölner Bischofs. Die lateinischen Textpassagen der Legende sind als Schriftbänder auf den Sockeln verewigt. Das Leben des Heiligen kann man eingehend studieren, "Die Absetzung des Euphrates" oder den "Tod des heiligen Martin", Severins "Bischofsweihe" oder seine "Predigt" und "Visionen". Bei Bild 20 geht es schließlich um die "Verehrung der Reliquien". Manche Episoden entfalten sich über mehrere Bilder, andere bestehen als Einzelstück. Die Handlung des 4. Jahrhunderts ist in die Welt von um 1500 verlegt worden. Wie reich das Erzählen sein kann, davon zeugt diese Chronik, die man wie in einem Film durchlaufen kann. Man macht Bekanntschaft mit dem städtischen Leben des Spätmittelalters, sieht Fantasie-Landschaften wie auch wahre örtliche Gegebenheiten aus der Zeit Severins. Wenn die Bibel als primäre Quelle christlicher Geschichte dient, so ist die Heiligenlegende die zweite große Erzähltradition des Abendlandes. "Ohne Erzählung könnte man niemanden zum Heiligen erheben", sagt der Museumsdirektor, Vita und Translatio dienten als Grundlage. Das Prinzip dieses "Museums der Nachdenklichkeit", das keine Fugen in den Böden und natürliche Schwellen zu den Räumen hat, heißt Konfrontation der Epochen und Ideen. Dabei ist der Blick stets universell gelenkt. Am Ende entscheidet man sich immer aufs Neue, welcher Joker aus der kostbaren Sammlung gezogen werden muss - was gut zueinanderpasst, eine große Idee formen kann. Reibungsfläche soll das Haus bieten, die gesellschaftlichen Felder durchmessen. Die Geschichte wiederholt sich, sagt Stefan Kraus. Das Spektrum ist breit, es reicht von Flucht, Vertreibung, ethnisch oder religiös motivierter Gewalt bis hin zur Sinnlosigkeit des Krieges. So ist die Ausstellung nicht so heiter wie gewohnt. Im Eingang, noch vor dem Aufstieg, lauert Felix Droese den Besuchern auf, vielleicht, um sie aufzuschrecken, sicher, um zu mahnen. Der Düsseldorfer erzählt in seiner nüchtern überschriebenen mehrteiligen Installation ("Keine Kunst aber Tatsachen") vom Tod im Öl. Verendete schwarze Vögel hat er in einen Sarg aus Glas gelegt. Droese findet für seine ökologische Mahnung ein anrührendes Bild. Der Mensch ist nicht zu sehen, aber verantwortlich, es ist sein Werk. Was Menschen Menschen antun, ist Marcel Odenbachs Thema, der sich über zehn Jahre mit dem Völkermord in Ruanda beschäftigt hat. Der in Düsseldorf lehrende Kölner Videokünstler zeigt in einer Doppelprojektion collagierte Bilder aus verschiedenen Quellen. "In stillen Teichen lauern Krokodile" nennt er die Arbeit, die von persönlichen Dingen in einer Vitrine und Schnittanleitungen begleitet wird. Nicht viel weiter muss man gehen, um auf die Figur "Christus in der Rast" zu stoßen, wundervoll angestrahlt – der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch. Zur Ruhe kommt man vor diesem Meisterwerk. So durchschreitet man die Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende mit immer neuen Gefühlen. Der Erzählungen sind viele, reiche, sie nähren die Gedanken und die Fantasie. Man trifft auf Konrad Klapheck, den Zyklus von Anna & Bernhard Blume, den jungen Ilya Kabakov und Rebecca Horn. Besonders drastisch und bedrückend sind die Kriegsbilder von Otto Dix. Die Ausstellung funktioniert, die Kunst des Erzählens mit der Kunst.« (Annette Bosetti, In der Aura des Hl. Severin, in: Rheinische Post, 15.9.2015)

»Zwei Jahre später wurde das Diözesanmuseum gegründet, das neben demjenigen in Paderborn das älteste seiner Art in Deutschland ist. Das Erzbistum Köln sichert seither durch die museale Aufbewahrung nicht nur das wertvolle Kulturgut. Die Präsentationsform der erhaltenen mittelalterlichen Kunstwerke im heutigen Kolumba-Museum verdeutlicht darüber hinaus, dass allein über ihre Einbindung in einen zeitgenössischen Kontext christliche Tradition langfristig vermittelt werden kann. Das Hauptwerk mit dem geschichtsträchtigsten Hintergrund ist das um 1450 entstandene Gemälde "Madonna mit dem Veilchen" des führenden Kölner Malers Stefan Lochner. Bereits in der ersten Ausstellung im Jahre 1854 wurde das Bild, das zwei Jahre zuvor unter großflächigen Übermalungen entdeckt und wieder hergestellt worden war, mit dem für Köln typischen Lokalstolz gefeiert. In Kriegszeiten retteten es der spätere Kardinal Joseph Frings und Wilhelm Neuss, damaliger Direktor des Diözesanmuseums, auf abenteuerlichem Wege vor der Beschlagnahmung durch Görings Agenten. Heute befindet es sich in dem Raum des Museums, der den Ausblick auf die Westfassade des Doms gewährt. Über seine Positionierung scheint es eine Verbindung mit ihm und der Geschichte Kölns einzugehen.« (Elke Backes, Wie das Rheinland seine Kunst rettete, in: Rheinische Post online, 27.10.2014)

»Man muss die Geschichte des 2007 im Herzen der Kölner Altstadt eröffneten Museums kurz erzählen und dann erst die Geschichte dieser Ausstellung. Kolumba ist einmalig. Er ist einer der ästhetisch überragenden Museumsneubauten jüngerer Zeit, von Peter Zumthor in zurückgenommenem Stil entworfen, errichtet über der Ruine der spätgotischen Kolumba-Kirche. Es gibt weder Hinweisschilder an den Wänden noch Audioguides für den Besucher; in diesem Schatzhaus der Kunst ist Überfüllung ausgeschlossen, weil Gruppenführungen nur außerhalb der regulären Öffnungszeiten möglich sind. Statt eine Cafeteria einzurichten hat man sich beim Neubau für ein lauschiges Lesezimmer entschieden, in dem erstmals philosophische Seminare gehalten werden. | Kolumba ist ein vom Erzbistum Köln finanziertes Museum, das sich ohne Zensur der Kunst öffnet und hingibt. Kardinal Joachim Meisner hat das Haus so gewollt und in seiner Freiheit intendiert. Sein Nachfolger Rainer Maria Woelki war auch schon da. Regie im Ausstellungswesen führt ein Kuratorenteam um Stefan Kraus. Jedes Jahr gibt es ein anderes Thema, Vorbereitungszeit: drei Jahre, Dauer: zwölf Monate. Gedankenschwere: garantiert. | Zeitnah will man sein mit den Themen, um die 60 000 Besucher, die jährlich kommen, in ihren Lebenswelten abzuholen. Dem zugrunde liegt ein ganzheitliches Verständnis des Menschen. "Wir sind Kunstvermittler und Brückenbauer", sagt Kraus. "Wir erklären Kunst durch Kunst, eine Ausstellung ist ein Ereignis in Raum und Zeit." Auch jetzt passt das Thema in die Zeit: "playing by heart" knüpft 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an das Dokument "Gaudium et Spes" von 1965 an, in dem es heißt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen einen Widerhall fände. " | Stefan Kraus sagt: "Kultur ist Lebenshilfe. Vor dem Hintergrund dessen, was in der Welt gerade geschieht - Flüchtlingselend, Kriegsgefahr und Armut - wollen wir uns damit beschäftigen, wie Freude und Hoffnung in Kunst und Kultur sichtbar werden. Kunst, so drückt es Kraus aus, ist Form gewordenes Spiel mit Inhalten. Und: Kunst erlaubt sich das Undenkbare. | In "Playing by heart", das wörtlich übersetzt "auswendig spielen" heißt, geht es darum, Gegenbilder des Schmerzes zu entwerfen: Um Glück und Aufbruch, Gegenwart, Vitalität - aber auch um Heiterkeit, Humor und Witz. Befragt wird der Stellenwert der ästhetischen Bildung, des zweckfreien Spiels und der Anerkennung künstlerischer Arbeit in einer durch Ökonomie und Effizienz weitgehend dominierten Gesellschaft. | In der Ausstellung setzt man auf die Glückserfahrung, die die Aneignung eines Werkes erbringen kann. Nicht zuletzt ist "playing by heart" eine sehr musikalische Angelegenheit wie auch eine Erzählung über die Liebe. | Die Liebe begegnet dem Besucher in fast allen Räumen. Ob ein Maler wie Robert Klümpen ein Zelt malt, auf das er in großen Lettern "Je t'aime" aufsprüht, oder ein anderer wie Peter Tollens einfach nur intensive monochrome rote Bilder herstellt. Der Bildhauer Heinz Breloh bringt in glasierten Terrakotta-Skulpturen durch unterschiedliche Farbigkeit Eros, Gewalt, Tod und Auferstehung zum Klingen, und sogleich entsteht ein Dialog. | Auf andere Weise erregen die beiden Eyecatcher im Obergeschoss Aufmerksamkeit: Ein wundersamer Gesell lehnt verloren an der Wand, zusammengesetzt aus Blechtonne, Holz, Forsythienzweigen und Textilien. | Der Künstler Michael Buthe war selbst ein Wanderer zwischen den Welten. Seine vielleicht als Alter Ego gedachte Skulptur könnte ein Flüchtling sein - ausgestattet mit den Resten von Natur, Technik und Kultur jedenfalls ein markantes Gleichnis für das Unterwegssein und das Verlorensein in der Welt. | Für diese Arbeit sucht der Museumschef noch Sponsoren. Ihr Nachbar im Raum soll auch für die Sammlung angekauft werden. Es ist die verrückte, wilde, in der Form an Achterbahn-Strecken erinnernde "Serpentinata" von Bernhard Leitner. Technisch betont, akustisch massiv und raumgreifend ist die Ton-Raum-Komposition aus Schläuchen, 48 Lautsprechern und 48 Endverstärkern. Um hier die Brücke zum Thema schlagen zu können, braucht es Geduld: Irgendwann folgt dem Zischen und Rauschen eine menschliche Stimme, es werden Texte von Novalis vorgetragen. | Aus zehn Jahrhunderten stammen die Werke dieser Ausstellung, sinnbildlich und intelligent sind sie miteinander verknüpft. Das erlebt man gleich beim Eintritt: Jeremias Geisselbrunn hat die Muttergottes mit Kind aus Alabaster im Jahr 1659 geformt, nach ihrer Zerstörung wurde sie 1995 restauriert: Das Jesuskind hält einen Ball oder die Weltkugel in der Hand, der Blick zwischen Mutter und Kind ist liebevoll. | Dieses Bildnis hat den Künstler Stefan Wewerka dazu inspiriert, einen Stuhl für Maria zu schreinern, der sich an den Torso mit Sockel schmiegt. Eine Liebesgabe war dies und beredtes Zeugnis dessen, wie Christus im Kolumba in die Herzen der Menschen einzieht. (Annette Bosetti, Im Kolumba macht Kunst glücklich. Das Museum des Kölner Erzbistums zeigt in seiner neuen Jahresausstellung, wie Kunst Lebenshilfe sein kann, Rheinische Post, 15.9.2014)

»Mit einer Störung beginnt der Rundgang durch die Kunstausstellung über Schreine – Untertitel: "Zeigen, verhüllen verbergen"! Gold, Perlen und Perlmutt erwartend, kostbare Reliquien ahnend, die wie wahre Schätze im Verborgenen ruhen – verschlossen für die Ewigkeit. Nun stellt sich doch ein riesiger rostiger Tresor fast trotzig in den Weg. Tausende Geldscheine hat der sicher fassen können, als er noch in Betrieb war. Vielleicht auch Juwelen und Aktien. Längst hat er diese Funktion verloren, er steht geöffnet da im lichten Eingang des Kolumba-Museums in Köln. Womöglich ist er ein Relikt der Finanzkrise ("alles verloren") oder zeugt von anderen Plünderungen. "Sicherheitsschrank" hat Felix Droese diese 1986 entstandene Arbeit genannt, die er ursprünglich in einem großbürgerlichen Ambiente platzierte. Sein Tresor hat in den Jahrzehnten an Bedeutung verloren und doch dazugewonnen. Er ist funktionell entwertet, die Tür steht weit offen. Er ist leer. Jetzt taugt er zum Denkmal oder Mahnmal. Rein formal betrachtet ist er einfach nur ein Kasten, ein Behältnis. Damit ist die Fährte zu dem faszinierenden Ausstellungsthema gelegt. Über durchaus profane Umwege richtet die neue Jahresausstellung im Kolumba-Museum den Blick viel später erst auf die Schreine, vier an der Zahl, außerordentlich kostbar und dem herausragenden Kirchenschatz aus St. Servatius in Siegburg entliehen. Eines der bedeutendsten Werke mittelalterlicher Goldschmiedekunst ist der Schrein des 1183 heiliggesprochenen Kölner Erzbischofs Anno (1056 – 1075), durch den gleich zwei Jubiläen repräsentiert sind: das 1700-jährige Bestehen des Erzbistums Köln, dessen erster Bischof Maternus 313 auf einer Synode in Rom urkundlich erwähnt wird; zum anderen das Gedenken an die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige, die 1164 – vor 850 Jahren – durch Erzbischof Rainald von Dassel als Kriegsbeute von Mailand nach Köln gelangten. Aufgehoben im Hochchor des Domes im Schrein des Nikolaus von Verdun, als dessen unmittelbarer Vorläufer der Anno-Schrein gilt, begründen sie den Aufstieg der Stadt zu einer Metropole des Mittelalters. "Köln ist durch den Reliquienhandel groß geworden", sagt Museumsdirektor Stefan Kraus, für den sich mit der Leihgabe aus Siegburg ein Traum erfüllte. Ausgehend von diesen kostbaren Schreinen entwarf er die Ausstellung. Verhüllen, Verbergen und Zeigen ist ein Thema, mehr noch ein Ritual, das die abendländische Kunst- und Kulturgeschichte durchzieht, das insbesondere in den großen Offenbarungsreligionen – Judentum, Christentum, Islam – von Bedeutung ist. "Durch Verhüllen Wesentliches sichtbar machen" heißt die Idee dahinter. Der Rest ist Glaube. Die Kölner Kuratoren haben aus der erzbischöflichen Sammlung die unterschiedlichsten Alltags-Objekte zusammengezogen. Allen ist gemein, dass sie kisten- und kastenförmige Ausmaße haben. So steht der formschöne "Schneewittchensarg" von Braun in der Vitrine, der einst Musik erzeugte, oder ein ebenfalls von Dieter Rams entworfenener Toaster; daneben ein Macintosh Classic M 0420 und weitere Gebrauchsgegenstände aus der Abteilung Angewandte Kunst. Diese ausrangierten Objekte aus Designerschmieden erhalten durch ihre gläserne Behausung museale Faszination: Wer sie betrachtet, erinnert sich, freut sich vielleicht. Jedenfalls erkennt er, wie Zeit vergeht, da Formen und Material sich verändern – nicht zuletzt die Funktion. Dem oft verborgenen Schatz der Erinnerung spürt auch das im Armarium versteckte Video von Kurt Benning (Jahrgang 1945) nach, das in einem kastenförmigen TV-Apparat in Endlosschleife läuft. Hinterlassenschaften einer aufgelösten Wohnung werden aufgezählt, man hört von Ehebett, Häkelgardinen und vom Nähnadelmäppchen der Marke Prym. Der Sprecher spricht ohne Gefühl und Wertung. Zu sehen ist wenig. So wird aus einem Video eine schwatzhafte Erinnerungskiste, die über Umwege das Leben zweier Menschen neu aufrollt und enthüllt. Die Assoziationskraft wird noch stärker gefordert, wenn auf der zweiten Museumsebene Malerei ins Spiel kommt. Eine dem Kästchendenken sehr entfernt liegende Disziplin? Mitnichten, sagt der Museumschef und lädt zur Expedition in tiefe Bilderwelten ein. "Malerei zeigt nicht alleine, was wir vordergründig sehen", sagt Kraus. "Malerei verweist auf das, was hinter der Farbe steckt." Bilder bergen Geheimnisse, andere Welten, Spekulations-Panoramen. Weiß-Schwarz verläuft das erste Spiel, mit dem die Malerei in Dialog zu Skulpturen und Objekten tritt: Eine Muttergottes vom Marienaltar in St. Kolumba, um 1650, ist bei aller Verletztheit der Skulptur anmutig – zart und hell. Ihrem Alabaster-Antlitz hängt ein sehr kleines schwarzes Ölbild von Alexej von Jawlensky gegenüber. Vertikale und horizontale dicke Pinselstriche formen sich darauf zu Grundzügen eines Angesichts, das als Ausblick in die innere Landschaft eines Menschen erscheint. "Große Meditation – der Mensch ist dunkler als die Nacht" entstand 1937, Antlitz und Kreuz wurden motivisch verbunden. Im selben Jahr wurden in Deutschland Konzentrationslager errichtet und Künstler als "entartet" gebrandmarkt. Weitere Korrespondenzen stellen sich im Raum 11 ein: Zu kleinen, edel verpackten Reliquienpyxiden aus dem Honoratus-Schrein gesellt sich das düster gemalte Triptychon von Christa Näher (Jahrgang 1947). "Schweinebild" hat es die Künstlerin im Untertitel genannt. In der Diffusion der Farben bleibt die Frage offen: Ist das hausförmige Gebilde mit dem eigenartigen First nicht auch eine Art Schrein? Oder gar der Beginn der Unterwelt? Im nächsten Raum eine neue Offenbarung: "Adam und Eva verbergen sich vor Gott" heißt das kostbare Alabaster-Relief von 1630, das in seiner Plastizität und Tiefe der biblischen Szene Bedeutung verleiht. Dazugestellt ist die kostbare Applikationsstickerei auf Samt aus der gleichen Zeit: "Antependium mit der mystischen Jagd im verschlossenen Garten". Die Verkündigung von Christi Geburt ist Thema, Tausende feine Stiche umhüllen die Botschaft. Immer wieder andere Dialoge ereignen sich: Blau markiert die Paintings von Rudolf de Crignis (1948-2006). Er schichtet Farbe, bis sie entmaterialisiert wirkt. Er will mit den Mitteln der Malerei transparente Lichterscheinungen erzeugen, was gelingt. Die Farbe verlässt die Leinwand, dringt in den Raum. Crignis' Bilder behaupten sich in ihrer Zartheit gegen das farbenprächtige Heilig-Geist-Retabel, das kurz vor 1449 in Nürnberg entstand. Ohne Dialogpartner ist einzig die Riesenkiste von Thomas Rentmeister (Jahrgang 1946). Das Objekt verweist auf unsere Zivilisation, merkwürdigerweise brummt es laut wie ein Eisschrank vor sich hin. Kolumba erweist sich mit dieser neuen Ausstellung wieder als Magnet in der rheinischen Museumslandschaft. Als Ort, an dem Kunst und Religion ein erbauliches Zwiegespräch führen. Wer hier angekommen ist, der fühlt sich wie im exklusiven Funkloch – in einer Anti-Welt zur digitalen Flut.« (Anette Bosetti, Kunst und Religion im Zwiegespräch, in: Rheinische Post / RP online, 28.9.2013)

»Einigen Bildern und Plastiken begegnet man im Kölner Kolumba-Museum schon wie guten alten Bekannten: Stefan Lochners anrührendem Gemälde "Madonna mit dem Veilchen", Janis Kounellis goldenem Raum "Tragedia civile" oder Richard Serras rauer Skulptur "Die Untergegangenen und die Geretteten". Sie wechseln nicht einmal ihre Plätze in den lichtdurchfluteten Räumen des Zumthor-Baus. Und erscheinen doch wieder in neuem Zusammenhang, da sie sich dem kuratorischen Leitmotiv der sechsten Jahresausstellung unterordnen. "Wenn Kunst Liturgie ist, ist dann Liturgie auch Kunst?" Diese Frage stellt Stefan Kraus in den Raum. Der Museumsdirektor sagt, die Antwort gebe die Kunst selbst. Wie immer hat sich das Haus am Rhein für die Ausstellung "Art is Liturgy" neu erfunden und Werkgruppen wie Einzelstücke seiner Sammlung zusammengefügt. "Unser Konzept der dialogischen Präsentation steht abermals auf dem Prüfstand", sagt Kraus. Die Kuratoren haben Dialogpartner aus unterschiedlichen Epochen der Kunstgeschichte gesucht, die inhaltlich verwandt erscheinen, doch formal Welten trennen. Quergeist Jürgen Klauke ist dabei, geboren 1943, auch Thorn Prikker (1868), Oskar Schlemmer (1888) und als Jüngster der Düsseldorfer Maler Robert Klümpen ( 1973). Hier schaut man auf Rebecca Horns Videoreihen, gleich daneben auf barocke Prozessionsfahnen, die am Fronleichnamsfest durch die Straßen getragen wurden. Das Armarium, die Schatzkammer, wurde erstmals ausgeräumt für die abstruse Installation Paul Theks, die einer sizilianischen Erfahrung entspringt und Inspirationen aus dörflichem Festumzug, religiöser Prozession und karnevalistischer Ausgelassenheit bezieht. In elf Meter Höhe schwebt die "Madonna auf dem Mond" mit Jesuskind aus Lindenholz (16. Jahrhundert). Gedankenverloren spielt der kleine Christus mit blutroten Beeren einer Weintraube – ein Hinweis auf den Kreuzestod und dessen Vergegenwärtigung in der Messfeier. Im großen zentralen Raum des ersten Stockwerks steht nun die gotische Monstranz aus Gold. Prachtvoll geschmiedet ist sie, mit Perlen besetzt, die auf einem Zylinder aus Bergkristall ruhen. Sie stammt aus Köln (um 1400) und ist das Herzstück der Ausstellung. In einem Dreieck wurde sie aufgestellt zu dem "Meatpiece with Butterflies" von Paul Thek und dem Triptychon "Pietà Rondanini II" des Priestermalers Herbert Falken. Die Konfrontation könnte auch hier größer nicht sein: Das Gold, das eklig anmutende "technological reliquiar" und die verhaltenen Graphitlinien auf weißem Zeichenpapier. Glücklich der Betrachter, der all dies zu einem Dreiklang im Kopf zusammenfügt. Ein Besuch im Kolumba erfordert immer Zeit und Ruhe. Die Stimmung eines Kirchenraumes verströmt Michael Buthes poetische Arbeit "Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit" von 1966. Sie stellt die Summe seiner künstlerischen Vorstellungswelt von Mythos und Heiligtum dar, was das zentrale Thema seines Werkes ist. Die Entstehung des Lebens – zwei goldene eiförmige Körper erheben sich über brennenden Lichtern – wird auf 14 Kupferplatten nachgezeichnet. Und immer wieder stößt man auf den vielgestaltigen Kosmos des US-Amerikaners Paul Thek (1933 – 1988), der sich leitmotivisch durch "Art is Liturgy" zieht. Eine Behauptung, die er aufgestellt hat, und die im Kolumba erlebbar wird. (Annette Bossetti, Kunst und Religion im Dialog, Rheinische Post, 15.9.2012)

»"denken" – kleingeschrieben – verordnet uns der Museumsdirektor in seiner fünften Jahresausstellung, "aber nicht die komplizierten Kopfgeburten ohne Sinnlichkeit". Stefan Kraus und seine Kuratoren haben umgeräumt im schönsten Kunsthaus des Rheinlands, dem Zumthor-Tempel. Und sie haben wie gewohnt kein Event zu bieten, schon gar keine Blockbuster-Ausstellung. Die Kunst-Connaisseure im Museum des Erzbistums Köln, Katharina Winnekes, Ulrike Surmann und Marc Steinmann, verfolgen andere Ziele mit ihrer nachhaltigen Museumsarbeit. Alles, was gezeigt wird, stammt aus der Sammlung. Sie bringen mutig sakrale Schätze mit neuen, profanen, oft provokativen Werken in den Dialog. Nah bei Joseph Beuys' karger Munitionskiste aus den Siebzigern hängt ein anrührendes rheinisches Elfenbein-Kruzifix aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Zu Jannis Kounellis' berühmter Paraphrase der menschlichen Tragödie (Wand in Blattgold) hat man eines der Hauptwerke der Neuinszenierung gestellt: ein kostbares Blockbuch aus dem 15. Jahrhundert, von dem nur zwei Exemplare auf der Welt existieren. Mithilfe von Piktogrammen erschließt die Rarität aus der Frühzeit des Buchdrucks die Überlieferung der Evangelien. (Dazu erscheint ein Buch). Stefan Lochners berühmter "Madonna mit dem Veilchen" aus dem 15. Jahrhundert, die in einem Raum mit Domblick residiert, sind schlichte Ölfarbstudien von Peter Tollens (1983-1984) zugeordnet, auch Manos Tsangaris' "Implodierender Schreibtisch", ein auf den ersten Blick recht merkwürdiges Möbelstück, das als Vehikel gedacht ist. Denn täglich kommt frische Ware: Texte, Skizzen, Gedankensplitter, Fotos und Fotos von Fotos landen auf der hellen Holzplatte. Dies alles bildet eine "temporäre Tafel aus spiralförmig einwärts einfallendem Gedankentreibgut" – so der Künstler, der Kompositionsprofessor in Dresden ist. Über ein Jahr will man sich an diesem Tisch zu Gesprächen verabreden und vom Denken im Moment berichten, sich auseinandersetzen. Auch das hat Tradition im Kolumba – das Zusammenspiel von Bild, Wort und Ton. In diesem Museum inszeniert man in Räumen, oft sind es Konstellationen, die sich auf Anhieb nicht erschließen. Schildchen an den Kunstwerken sucht man vergebens, man soll schauen und vorbehaltlos auf sich wirken lassen. Die Kuratoren fordern Zeit vom Museumsbesucher und bieten Entschleunigung. Wer durch das Museum der Nachdenklichkeit gezogen ist, geht bereichert wieder heraus. Dieses Mal gedankenschwer. Ein unbehauener Klotz steht im Entree, Tuffstein auf geschichtetem Moselschiefer. Die Arbeit von Josef Wolf soll archaisch einführen. Der Bildhauer "denkt" mit der Erfahrung seiner Hände. Gleich im Treppenaufgang das erste gedankliche Scheitern, vorgeführt in einer kleinen Hommage an den kürzlich verstorbenen Bernhard Johannes Blume. Auf fünf Schwarz-Weiß-Fotos beschreibt er anekdotisch, was er unter dem Leitsatz "Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar" (1981) versteht. Er tastet, er schaut, er schmeckt, er stockt. Von da ab geht's bergauf. Kunst ist einer der wenigen Denkräume, der nicht zweckorientiert ist und sich der Forderung nach Effizienz widersetzt. In einer Zeit der Kommunikationsüberflutung wird die Kontemplation zur Tugend. Und zur Bedingung für tiefes Nachdenken. Das gelingt in dieser Ausstellung angesichts Dieter Kriegs Bilderwucht, Rune Mields' verschlüsselten Botschaften, Bernhard Leitners klingenden Raumreflexionen, John Cages Arbeiten in Aquatinta und Peter Zumthors Architekturzeichnungen. Witzig mittendrin ist ein Hügel mit ausrangierten Schreibmaschinen aufgebaut, zu denen sich das berühmte Bild von Konrad Klapheck einfindet: "Der Wille zur Macht". Als künstlerisches Medium erhält das Buch Gewicht. Die Schönsten dürften jene sein, die man nur erahnen kann: Sie werden in einer Bibliothek in der Antarktis aufbewahrt, in einem grünen Container im ewigen Eis. Davon berichtet ein ins Armarium (!) eingeschmuggeltes Video-Still. Jeder weiß: Das Buch kann schärfste Waffe sein.« (Annette Bosetti, Gedankentreibgut im Kolumba, RP online, 17.9.2001

»Nahe der hässlichsten Kölner Straße gelegen (Nord-Süd-Fahrt), lockt das Kolumba-Museum des Erzbistums Köln mit alten Kunstwerken in moderner Architektur. Neben dem Wallraf Richartz Museum ist es das älteste Museum der Stadt«. Die vier anderen Dinge sind: Seilbahn fahren, Schloss an die Hohenzollernbrücke hängen, Linus Talentprobe am Tanzbrunnen besuchen und ein Brauhaus aufsuchen. (RP online, 11.5.2011)

»Das von Architekt Peter Zumthor still und schön inszenierte Haus macht Kolumba zu einem Kunstort voller Magie. Wer nicht den Aufzug nimmt, steigt demütig die steilen Stufen hinauf. Ohne Ablenkung, ohne Kunstlicht, ohne Geräusche und Hinweisschilder – auf speckigem, hellem Stein. Das Diözesanmuseum ist seinem selbstgestellten Auftrag nach mehr als ein Museum, es versteht sich als ein Labor, das jedes Jahr wieder auf einen anderen Untersuchungsgegenstand gespannt macht. Kolumba hat einen schillernden, zwei Jahrtausende umfassenden Sammlungsschatz, aus dem Museumsdirektor Stefan Kraus mit seinen Kuratoren schöpfen kann. So räumt er einmal im Jahr das ganze Haus um und ordnet die Säle vor allem nach den ästhetischen Maßgaben der Werke. Seine Ausstellungen nennt er eine Versuchsanordnung. Jetzt, zur vierten Auflage, geht es ihm um ein dem Menschen nahes Thema: "Noli me tangere" – "Berühre mich nicht!" Oder: "Halte mich nicht fest" – so die zwei Lesarten des im Johannesevangelium überlieferten Satzes, den der auferstandene Christus an Maria Magdalena richtet, die weinend an seinem Grab steht. Auf drei Etagen sind in den 19 Sälen und drei Turmzimmern Gemälde, Skulpturen, Bücher und Installationen dialogisch ausgebreitet, die Selbstbild und Fremdbild des Menschen umkreisen und über die Spannung von Distanz und Nähe berichten. Das Begehren und das Anfassen-Wollen schwingt mit. "Auch der sexuelle Missbrauch in der Kirche hat mit Berührung und mit fehlendem Respekt zu tun", sagt der Museumsdirektor, so habe man dieses Thema nicht ausgespart. Die Schau über die zu bewahrende Unversehrtheit des Individuums erhält durch die Debatte um Missbrauch im Bereich der Kirche eine eigene Brisanz. Unfassbar einsam wirkt der Typ auf der gemalten Plastik von Darío Villaba, die im Raum schwebt – ein Mann mit zwei Seiten, gefangen in einer Blase, erstarrt in Denkerpose oder sogar in Depression, es lässt sich nur schwer ergründen. "La Espera" (Erwartung, Hoffnung) heißt diese Arbeit, der eine Aquarellserie von Michel Kalmbach an die Seite gehängt wurde. Es ist die drastische Geschichte vom kleinen und vom großen Paul, die der junge Pfälzer Künstler radikal illustriert und in explosiven Farben koloriert hat. Die wie ein Fries ausgebreitete Wandarbeit erinnert an ein Kinderbuch, doch sie zeigt die Verwundbarkeit kindlicher Seelen und Körper. Zum Glück gibt es ein Happy End, der kleine Paul wird errettet. Eine Ecke weiter liegt in der Vitrine ein aufgeschlagenes Buch: Zwei Fotos zeigen rote, bluttriefende Gebilde, vielleicht sind es Wunden. Daneben steht zu lesen: "Sich mit dem Realen zu konfrontieren, macht noch nicht fähig, es auszuhalten." Eindringlich dieses acht Jahre alte Kunst-Stück von Anna & Bernhard Blume; es heißt "Prinzip Grausamkeit – eine Polaroidserie." Neben dem modernen Medium Fotografie behauptet die Zeichnung hier ihren Platz. Erbaulich wirken die Graphitstudien vom Ende des 19. Jahrhunderts: Franz Heinrich Commans hat schreitende Kinderfüße, Hände und Locken meisterhaft zu Papier gebracht, das betont Sinnlichkeit oder – wie bei der Locke – den Wert von Erinnerung. Herbert Falken, Künstler-Priester aus dem Rheinland, hat Anfang der 70er Jahre Krankenbilder gezeichnet, die auf der documenta VI ausgestellt wurden. Das Besondere, das Grenzüberschreitende daran spürt man noch heute, die Begegnung mit dem versehrten Menschen, mit Behinderung und Tod. Als schrille Ausnahme überraschen Jürgen Klaukes rotgetonte Fotografien ("Annäherungsakrobatik"). Bernhard Leitner, der Schöpfer einer Klangskulptur, ist erstmals in Deutschland zu sehen. Beeindruckend in ihrer Fülle ist die Rauminstallation vom Krimhild Becker. Sie hat ein Sammelsurium des Todes in einem Raum aufgebaut, Masken, Vögel, Schädel, tierische und menschliche Skelette angebracht. Es ist Beckers moderne Wunderkammer – so wie dieses ganze Museum als zeitgemäße Wunderkammer dasteht. Auch weil es wagt, die fantasievolle Rauminstallation mit einem schlichten rheinländischen Lindenholz-Kruzifix von 1150 zu konfrontieren.« (Annette Bosetti, Der Mensch im Mittelpunkt, Rheinische Post, 16.9.2010)

»Dem flüchtigen Köln-Besucher wird es kaum auffallen – und trotzdem ist das neue Diözesan-Museum eines der schönsten Bauwerke der Stadt – neben Dom, romanischen Kirchen und den bekannteren Geschwistern wie dem Ludwig- oder dem Wallraf-Richartz-Museum. … Das vom Schweizer Weltarchitekten Peter Zumthor errichtete Diözesanmuseum zählt derzeit zu den aufregendsten Sammlungen Kölns." (Martin Kessler, Diözesan-Museum – ein Glanzstück der Stadt, in: Rheinische Post, 15.7.2010).

»Für die Beschreibung seiner internationalen Verdienste um die internationale Baukunst müssen spartenübergreifende Begriffe herhalten. Zumthor der Komponist, vielleicht. Oder auch Zumthor, der Erzähler? Ein Künstler jedenfalls ist er, der sich alle Zeit der Welt nimmt für seine Arbeit und despotisch das Tempo der Ausführung bestimmt bis zum Schlusspunkt. Nun wurde der 66jährige Graubündener zum Besten unter den Guten gekürt. Er nahm den undotierten, aber ehrenvollen Preis für Architektur in Frankfurt entgegen für das gelungenste Bauwerk der vergangenen zwei Jahre in Deutschland.« (Annette Bosetti, Köln siegt im Architekturvergleich, Rheinische Post, 29.1.2009)

»Und wer diesen Ort verlässt, hat am Ende seinen Kraftspeicher aufgefüllt. Mit Bildern und spirituellen Botschaften aus zwei Jahrtausenden, die dialogisch und bewusst kontrasierend zueinander in den Raum gesetzt worden sind. … Ab Sonntag kann das Publikum frei assoziieren zum Leitthema 'Der Mensch verlässt die Erde' – was eine nicht nur schmerzhafte, sondern auch poetische Tabuzone des Lebens einkreist, die Zustände des Dazwischen gemahnend. Ein Thema, das jeden angeht, früher oder später. Felix Droese ist der Titel zu verdanken, seiner gemalten farbgewaltigen gleichnamigen Trilogie von 1983/84. Das Triptychon wurde getrennt, zwei Bilder sind Heinz Brelohs schroffem Bronzeguss 'Lebensgröße' an die Seite gestellt; das dritte Bild ist das schönste und überraschendste des 58-jährigen ehemaligen Aktivisten an der Düsseldorfer Kunstakademie: Mit dickem Farbauftrag deutet er Himmlisches und Höllisches an, düstere und helle Stücke der Welt, mittendrin ein roter Funke – vielleicht auch eine Seele, wirklich das Herz, vielleicht auch einfach nur ein Symbol für Liebe? Wundervoll! … Dank des handlichen Kurzführers führt sich der Besucher in jedem Raum gut informiert. Und doch wird man staunen, Radio- und Fernsehapparaten der letzten 70 Jahre in einer Installation zu begegnen, gleich neben einem eindringlichen Film des Kölner Videopionieres Marcel Odenbach.… Empfindungen werden wachgerufen in dieser Schau, die Wahrnehmung wird geschärft.« (Annette Bosetti, Kolumba – das entschleunigte Museum, Rheinische Post, 13.9.2008)
 
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KOLUMBA :: Kritiken :: Rheinische Post

»Im Kölner Kolumba ist nach der Krise vor der Krise. Kaum etwas hat sich geändert. Laut und voll ist es hier in dem edel-funktional dienenden Zumthor-Bau nie, jetzt soll man sich eigene Kopfhörer mitbringen, denn die hauseigenen sind ausgehängt; eingangs wäscht man sich die Hände. Das von Stefan Kraus intelligent wie intuitiv geleitete Haus wechselt nur einmal im Jahr die Ausstellung, was Besucherstürme generell ausschließt. Gearbeitet wird fast ausschließlich mit Werken der Sammlung. Hier gehen der Kenner und der Genießer hin. Immer wird man fündig in stimmigen Rauminszenierungen, vor aussagestarken Einzelwerken. In der laufenden Ausstellung untersucht das Kunstmuseum des Erzbistums Köln unter dem Titel „1919 49 69ff. Aufbrüche“, wie Künstler mit ihren Werken auf historische Umbruchszeiten reagieren und Visionen entwickeln.« (Annette Bosetti, Achtung Blumensprengung [Drei Museumsrundgänge in Corona-Zeiten], Rheinische Post online, 12.6.2020)

»Wenn zwei Tänzer zum "Pas de deux" ansetzen, dann sind Höhepunkte zu erwarten. Der eine wie der andere Part gibt nur das Beste. Aus der Verschmelzung zweier Bester entsteht meist etwas Allerbestes. Berührendes. Ein Miteinander und ein Zwiegespräch. Ganz ohne Worte mit allerfeinstem künstlerischen Ausdruck. An diesen Höhepunkt des klassischen Balletts haben zwei Kölner Museumsdirektoren gedacht, als sie vor drei Jahren Pläne schmiedeten, ihre Spitzenstücke in eine gemeinsame Choreographie zu setzen. Der eine, Marcus Trier, wollte sich eine Denkpause verordnen. Und er war dabei von einer gewissen Not getrieben, da sich sein Römisch-Germanisches Museum in eine Sanierungsphase begab. Der andere, Stefan Kraus, wollte gerne einmal Gastgeber sein. Sein Prinzip des lebenden Museums im Kolumba noch verstärken, noch lebendiger werden lassen, indem für die Dauer eines Jahres zwei Museumssammlungen aufeinanderprallen. | "Pas de deux" wurde als impulsgebender Name gesetzt, dem künstlerischen wie emotionalen Höhepunkt des Balletts entlehnt und darüber hinaus auf das erquickliche Hin und Her zwischen Antike, Mittelalter und Moderne hinweisend. Die Absicht dieses historisch abwechslungsreichen Spiels: Acht Kuratoren möchten in einer zunehmend bedrohlicher werdenden Welt die vielfältigen Aspekte des Menschseins präsent halten. | Wo sie das Menschsein festmachen? Dank der reichen Kunstschätze beider Kölner Häuser können sie aus Mythos und Gegenwart schöpfen, aus Zeit und Raum, Kostbarkeit und Transzendenz, Selbstwahrnehmung und kollektivem Handeln. Aus nahezu allem, was das Menschsein und die Gesellschaft ausmacht. | Die Räume im Kolumba haben heimliche Überschriften. So betritt man mit Nummer 7 einen "Schnörkelraum", der im "Pas de deux" zum prächtigen Ballsaal wird. Der Kölner Schnörkel war in der Antike ein Markenzeichen erster Güte, eine geformte Wellenlinie, die in der Ziffer 7 ausläuft - von der Bedeutung her vergleichbar dem, was heute das Apple-Logo ist. Im Schnörkelraum wird die Geste des zeichnenden Menschen untersucht und in kostbaren Zeugnissen belegt. Antike Gefäße werden mit Zeichnungen von Hubert Berke aus den 1940er Jahren konfrontiert, dessen Verfahren aus reiner Experimentierlust getrieben waren. Hinterglasmalerei von Werner Schriefers gesellt sich dazu, der in seinen "Smogblüten" das blinde Malen austarierte. | Das mag alles sehr theoretisch klingen und braucht doch beim Rundgang im Kolumba nicht wegweisend zu sein. In jeder Aufstellung des Tanzes begegnet man immer Einzelstücken, die die Schaulust befriedigen. Im zentralen großen Raum angekommen, sieht man auf eine Sammlung römischer Töpferkunst. Auf dem zentralen Podest hat man Weißtonkrüge, Tafelgeschirr und Kakao-Kannen arrangiert. An den Wänden treiben Anna und Bernhard Blume auf Fototafeln ihre "Vasenextase" - ein aberwitziger philosophischer Dialog über die vertrackten Verhältnisse im Alltag. | In Raum 20 gelingt der Sprung ins 20. Jahrhundert, das Thema ist das Menschsein, auch Körperlichkeit. Rebbeca Horn, bekannt für ihre Body Art und Performances, untersucht in Kurzfilmen das Tasten der Hände, wenn man diese mit Federn verlängert. Sie stellt Hierarchien der Sinne auf. Ihre Tanzpartnerin zur Rechten ist eine kopflose Venus, die nach ihrer Erschaffung im frühen 2. Jahrhundert von Italien nach Köln gelangte. In einer Villa diente sie lange Zeit als Dekoration. Vor ihrer Wiederentdeckung durch die Restauratoren lag sie zerschlagen, den Rücken zur Straßenoberfläche gerichtet, unter dem Pflaster der Hohe Straße in Köln. | Ein Schaustück der besonderen Güte ist Felix Droeses Skulptur "De drie naakte vrouwen": Figuren, die er abstrahiert aus Ulmenholz geschnitzt und auf einem Floß aufgestellt hat. Dort, wo beim Menschen das Herz sitzt, hat der Bildhauer die Bretter durchbohrt. Der Gedanke der ewigen Fahrt des Lebens findet Ergänzung in einem luxuriösen Bernsteinschiffchen aus dem 3. Jahrhundert. Drei Eroten sind deren Fahrgäste. "Lebe glücklich" lautet die Inschrift - und ihre Mission. | Weitere Botschaften finden sich in einem der kostbarsten Stücke, das das Römisch-Germanische Museum ausquartiert hat. In purpurfarbenen Buchstaben steht auf einem Diatretglas aus dem 4. Jahrhundert auf Griechisch der Trinkspruch: "Trinke, lebe schön immerdar".Die Entdeckung, 1960, war für Köln ein Glücksfall. "Wir sind die einzige Millionenstadt mit 2000 Jahren Stadtgeschichte - davon können Berlin und München nur träumen", sagte Marcus Trier gestern vor der Presse. "Köln hat die Taschen voll."« (Annette Bosetti, Im Kolumba tanzt die Moderne mit der Antike, in: Rheinische Post, 14.9.2017)

»Als Peter Zumthor das Kunstmuseum Kolumba plante, lag ihm nichts ferner, als einen "Bilbao-Effekt" zu produzieren. Was in der nordspanischen Stadt am Meer Millionen Besucher aus aller Welt anzuziehen vermochte, nämlich der 1997 fertiggestellte, äußerst spektakuläre Museumsneubau von US-Architekt Frank O. Gehry, sollte im Rheinland keine Nachahmung erfahren. Das selbstbewusste Köln brauchte so etwas nicht. Und der für seine eigenwilligen Lösungen preisgekrönte Architekt wollte es nicht. Ihm schwebte das Gegenteil vor. Kolumba, das im September runden Geburtstag feiert und jährlich etwa 60.000 Besucher und 500 Gruppen anzieht, wurde vor zehn Jahren mit vielen "Kein-Qualitäten" eröffnet: Es sollte keine Marketingmaschinerie bedienen. So gab es kein Café und keine Events, keine Hinweisschilder auf die Kunst und so gut wie kein Kunstlicht. Es wird kein Eintritt fällig bei Menschen bis 18 Jahre, und es gibt nie Führungen zu den regulären Öffnungszeiten. Anders als im Kunstrummel des baskischen Bilbao herrscht im Kölner Kunstbetrieb Stille, fast möchte man von Andacht sprechen. Als "Museum der Nachdenklichkeit" ist das inspirierende Haus in Trägerschaft des Kölner Erzbistums überschrieben. Architekt und Museumsteam sagen wie aus einem Munde: "Wir glauben an die spirituelle Kraft von Kunst." Ein ungeheuerliches Statement, das selten zu hören ist in unserer von Marketingmaßnahmen und Vermittlungskonzepten überwucherten Zeit. Tatsächlich fällt das Resümee im zehnten Jahr positiv aus. "Wir lieben das Haus", sagt Direktor Stefan Kraus, "es hat sich bewährt." Klingt das vielleicht ein wenig zu satt, dann kommt der Zusatz von Kraus gerade recht, dass man in all den Jahren sowie in Zukunft die Institution Museum immer wieder aufs Neue be- und hinterfrage. Extra habe man Kolumba damals bei der Eröffnung nicht den starren Zusatz "Museum" angehängt, damit andere Kulturtechniken wie die Musik, die Literatur, das Theater ebenfalls Raum erhalten und in den Dialog mit Kunst und Architektur eingreifen. Für Kraus ist ein Museum ohne Klang einfach unvorstellbar. Gemeinsam mit dem Architekten hat er einen langgehegten Plan verwirklichen können und hält einen der emotionalsten Orte im Haus, die 900 Quadratmeter umfassende Erinnerungslandschaft über der Ausgrabungsstätte, mit einer künstlerischen Intervention lebendig. Die Vorarbeit dazu liegt ein Vierteljahrhundert zurück und führt tief in die Geschichte des historischen Ortes, an dem Kolumba errichtet wurde. Römische, merowingische, romanische und gotische Spuren wurden erhalten und neu inszeniert. Über einen roten Steg in Zack-Zack-Form erschließt sich dieser dunklere Museumsraum, der mit einem schweren Ledervorhang vom Entree abgeteilt ist. Für hunderte Tauben war die Ruine von Kölns ältester, im Zweiten Weltkrieg ausgebombter Pfarrkirche ein Zuhause. Das Trümmergrundstück von St. Kolumba war einst ein verwunschener Ort und das Paradies der Vögel, die dort brüteten, gurrten und manch Unliebsames hinterließen. Der Gesang dieser Kölner Tauben sollte aufgenommen und für die Ewigkeit festgehalten werden. Damit beauftragte der damalige Kustos und heutige Direktor weitsichtig den US-Künstler Bill Fontana. Heute ist es eines der feinen leisen Elemente in der Gesamtkonzeption des Hauses. Man muss schon die Ohren spitzen, um herauszufinden, dass Zeit und Erinnerung in dieser Klanginstallation eine Rolle spielen. Das Gurren der Tauben klingt nicht anders, als man es kennt, doch so eine Autohupe wie die, die alle 20 Minuten von Neuem erklingt, gibt es heute nicht mehr. Das hört man sofort. Vielfach verschmilzt die Zeit in diesem Haus, das Vergangene mit der Gegenwart. Bis hinauf in die oberste Etage hält das an. Uralte Kunst, darunter sakrale und liturgische Kostbarkeiten aus vielen Jahrhunderten, wird konfrontiert mit zeitgenössischen Positionen. Dazu gehört Mut. Wie man hört, lässt das Erzbistum alle inhaltliche Freiheit. Als "vertikales Museum" versteht sich Kolumba, in das versetzt zwei enge Treppenaufgänge eingezogen wurden, um die zwölf Meter an Höhe zu überwinden, die über das Dach der angrenzenden Gottfried-Böhm-Kapelle führen. Ein Besuch von Kolumba ist anregend und anstrengend. Man durchwandert beim Kunstschauen die Architektur, erlebt die steinernen Zeugen von Kulturen und erfasst die vielfachen Reibungen von Gegenwartskunst mit den Schätzen der Vergangenheit. "Der Aufstieg im Haus verläuft parallel zur geistigen Erhebung", sagt Kraus, "im besten Fall gewinnt man Transzendenz, gelangt von der Erde in den Himmel." Am nächsten Wochenende stehen einmal nicht die Kunst und die kostbare Sammlung im Mittelpunkt, sondern die ausgezeichnete Architektur. An den Wänden hängen derzeit keine Bilder, die Räume sind fast leer. Unter Bäumen, im Hof über dem mittelalterlichen Friedhof, lässt sich gut nachdenken. Eine Pause im prächtigen Lesezimmer ist sicher auch drin. Nur für den Kaffee muss man nach nebenan gehen. Stefan Kraus hat seine eigenen Lieblingsplätze im Haus, "das hängt vom Licht ab, von der Tages- und Jahreszeit." Gern will er endlich mal einen großen Wunsch aussprechen, den er zum Geburtstag hat: "Ein Haus wie unseres braucht Unterstützung!" Das Erzbistum könne nicht alles leisten. Um die Sammeltätigkeit fortzuführen und auf dem hochpreisigen Kunstmarkt wichtige Ankäufe vornehmen zu können, bittet er künftig um noch mehr Zuwendungen - nicht nur um Lob und Aufmerksamkeit, sondern um Mittel. (Annette Bosetti, Kolumba und die spirituelle Kraft der Kunst, in: Rheinische Post, 18.8.2017)

»Zwei Stunden sollte man sich schon Zeit nehmen. Am Ende des Rundgangs durch das Museum der Nachdenklichkeit ist man erschöpft und gleichsam erfüllt, angeregt und tatsächlich nachdenklich. Im zehnten Jahr zeigt das Kunsthaus am Dom in seiner aparten architektonischen Hülle eine Jahresschau, die starke Assoziationen und Emotionen freisetzt. Es geht um den Menschen, der als Individuum befragt wird. Was macht ihn aus, und was prägt ihn? Wie gebärdet er sich heute und künftig in einer zunehmend von Terror und Unsicherheit geprägten Welt? Im weitesten Sinne ist diese Ausstellung sogar politisch. | Kein Mensch ist wie der andere, dieses Besondere jedes Individuums drückten zeitlebens Künstler in verschiedener Manier aus und fanden mannigfaltigen Ausdruck dafür. Der Mensch oder sein Antlitz wurden nachgebildet, fratzenhaft verfremdet, überhöht oder karikiert. Der Körper, die Pose, das Umfeld, die Gruppe und die Positionierung, all das Formale rückt das Individuum in seine Zeit, in Freude und Not. | Von der Vielfalt und dem Wesentlichen, von der Tiefe und dem Charakteristischen des Subjekts lebt die Ausstellung "Me in a no-time state" - Über das Individuum". Wie immer im Kolumba erregt die Schau durch das Prinzip, Dialoge zu eröffnen. Zwischen der Sammlung des Erzbistums und angedockten Leihgaben, zwischen Alt und Neu, Figurativ und Abstrakt, mittelalterlicher Plastik und zeitbasierten Medien. | Der krasseste Dialog dürfte sich entwickeln zwischen der feingeschnitzten Lindenholz-Skulptur zur Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit aus dem 17. Jahrhundert und dem aus fünf rau gemalten Bildern bestehenden titelgebenden Diptychon "Me in a no-time state" von Chris Newman. Newman (Jahrgang 1958) zieht als Kopist durch die Bildfelder von Kollegen, malt Motive von Munch oder Matisse mit reduzierten Mitteln neu, um sie, wie er angibt, zu überwinden. Seine Konfrontation mit der christlichen Skulptur wirft jedenfalls Fragen auf. | Gleich am Eingang steht im Kolumba traditionell ein programmatisches Werk: Eine Armada von Robotern ist es dieses Mal, 100 Exemplare mit unterschiedlichen Reifegraden, gesammelt von der Künstlerin Krimhild Becker und in Vitrinen verstaut. Emiglio zum Beispiel ist ein weißer serviler Maschinenmensch, ferngesteuert. Er kann immerhin Kaffee servieren. Muss uns die rasante Entwicklung von Robotern Angst machen - oder hoffen wir heimlich auf mehr Hilfestellung? | Viele kostbare Heiligenfiguren begegnen uns, komplex gebaute Künstlerräume, Lebenswerke, Videokabinette, Votivgaben, Goldschmiedekunst, Einraum-Möbel, Vitrinen mit Andachtsbildchen oder solche Kostbarkeiten wie die 25 aus Sandstein geschlagenen Archivoltenfiguren vom Petersportal des Kölner Domes. 600 Jahre lang haben sie auf die in die Kirche strömenden Menschen hinabgeschaut. Dass Georg und Gregorius, der Prophet oder der Engel jetzt ausnahmsweise im Museum auf hohen Stelen Platz nehmen dürfen, ist dem Umstand zu verdanken, dass seit 1978 die Sitzfiguren in den Bogenläufen des rechten Seitenportals wegen zunehmender Verwitterung durch Kopien ersetzt wurden. Nun hat das Domkapitel seine Figuren ins benachbarte Museum entsendet. Im großen mit Tageslicht beleuchteten Saal bilden sie eine eingeschworene Gemeinschaft. Anlass der Ausstellung, so erzählt es Museumsdirektor Stefan Kraus, war die nach sieben Jahren abgeschlossene Restaurierung der spätmittelalterlichen Skulpturengruppe der "Vier Gekrönten". "Nette Kerlchen" nennt er sie, und meint das bewundernd, denn restauratorisch ist dem Kolumba eine kleine Sensation gelungen. Bildhauer, Werkmeister, Steinmetz und Polier stammen aus dem Epitaph des Dombaumeisters Nikolaus von Bueren. Sie werden auf Anfang des 15. Jahrhunderts datiert und Konrad Kuyn zugeschrieben. Der Aufwand zur Restaurierung war enorm, zwei Restauratorinnen haben über sieben Jahre täglich drei Stunden an den Skulpturen geforscht und restauratorisch eingegriffen. Heute erkennt man: Der Bildhauer, der das Plakat zur Ausstellung schmückt, war ein Bürger von großem Selbstbewusstsein. Überhaupt zeige sich, so Kraus, an den vier Figuren aus Baumberger Sandstein, wie hoch Mitte des 15. Jahrhunderts schon das Maß der Individuation in der Kunst war. | 65.000 Besucher bekunden dem Kolumba jährlich ihren Respekt. Bis zum nächsten Herbst werden sie wieder hinschauen, Kunst erleben. Stefan Kraus, für den Besucherzahlen nach eigenen Angaben keine Relevanz haben, freut sich, wenn sich die Menschen auf Spurensuche in seinem Haus begeben. Er will Deuter des Abstrakten sein. (Annette Bosetti, Von Robotern und Heiligen, in: Rheinische Post, 14.9.2016)

»"Komm, erzähl mir was", singt Herbert Grönemeyer in "Halt mich", einer seiner poetischsten Balladen. Diese Aufforderung hat wohl auch der Leiter des Kolumba-Museums in Köln gehört. Stefan Kraus verlegt sich auf Geschichten, nennt die neunte Jahresausstellung "Der rote Faden – Ordnungen des Erzählens" und untersucht in seinen stillen Räumen die Kraft von Kunst. Das ganze Leben ist Erzählung, sagt er. Die rund 200 Bilder, Radierungen, Skulpturen, Bücher, Videoarbeiten und Installationen sollen darauf befragt werden, was sie preisgeben, wie sie das tun und wovon sie letztlich künden. Anlass zu diesem Thema gab der 20-teilige spätmittelalterliche Bilderzyklus zu Leben, Wirken und Sterben des heiligen Severin. Da die Severinskirche saniert wird, hätten die Bilder ins Depot wandern müssen. Davor hat sie das Kuratorenteam bewahrt und sie zum Herzstück der neuen Ausstellung erklärt. Mitglieder des Kölner Kanonikerstiftes hatten um 1500 diesen prächtigen Bilderreigen in Auftrag gegeben, der in vier Jahren entstand. Grundlage war eine um 900 verfasste Vita des dritten Kölner Bischofs. Die lateinischen Textpassagen der Legende sind als Schriftbänder auf den Sockeln verewigt. Das Leben des Heiligen kann man eingehend studieren, "Die Absetzung des Euphrates" oder den "Tod des heiligen Martin", Severins "Bischofsweihe" oder seine "Predigt" und "Visionen". Bei Bild 20 geht es schließlich um die "Verehrung der Reliquien". Manche Episoden entfalten sich über mehrere Bilder, andere bestehen als Einzelstück. Die Handlung des 4. Jahrhunderts ist in die Welt von um 1500 verlegt worden. Wie reich das Erzählen sein kann, davon zeugt diese Chronik, die man wie in einem Film durchlaufen kann. Man macht Bekanntschaft mit dem städtischen Leben des Spätmittelalters, sieht Fantasie-Landschaften wie auch wahre örtliche Gegebenheiten aus der Zeit Severins. Wenn die Bibel als primäre Quelle christlicher Geschichte dient, so ist die Heiligenlegende die zweite große Erzähltradition des Abendlandes. "Ohne Erzählung könnte man niemanden zum Heiligen erheben", sagt der Museumsdirektor, Vita und Translatio dienten als Grundlage. Das Prinzip dieses "Museums der Nachdenklichkeit", das keine Fugen in den Böden und natürliche Schwellen zu den Räumen hat, heißt Konfrontation der Epochen und Ideen. Dabei ist der Blick stets universell gelenkt. Am Ende entscheidet man sich immer aufs Neue, welcher Joker aus der kostbaren Sammlung gezogen werden muss - was gut zueinanderpasst, eine große Idee formen kann. Reibungsfläche soll das Haus bieten, die gesellschaftlichen Felder durchmessen. Die Geschichte wiederholt sich, sagt Stefan Kraus. Das Spektrum ist breit, es reicht von Flucht, Vertreibung, ethnisch oder religiös motivierter Gewalt bis hin zur Sinnlosigkeit des Krieges. So ist die Ausstellung nicht so heiter wie gewohnt. Im Eingang, noch vor dem Aufstieg, lauert Felix Droese den Besuchern auf, vielleicht, um sie aufzuschrecken, sicher, um zu mahnen. Der Düsseldorfer erzählt in seiner nüchtern überschriebenen mehrteiligen Installation ("Keine Kunst aber Tatsachen") vom Tod im Öl. Verendete schwarze Vögel hat er in einen Sarg aus Glas gelegt. Droese findet für seine ökologische Mahnung ein anrührendes Bild. Der Mensch ist nicht zu sehen, aber verantwortlich, es ist sein Werk. Was Menschen Menschen antun, ist Marcel Odenbachs Thema, der sich über zehn Jahre mit dem Völkermord in Ruanda beschäftigt hat. Der in Düsseldorf lehrende Kölner Videokünstler zeigt in einer Doppelprojektion collagierte Bilder aus verschiedenen Quellen. "In stillen Teichen lauern Krokodile" nennt er die Arbeit, die von persönlichen Dingen in einer Vitrine und Schnittanleitungen begleitet wird. Nicht viel weiter muss man gehen, um auf die Figur "Christus in der Rast" zu stoßen, wundervoll angestrahlt – der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch. Zur Ruhe kommt man vor diesem Meisterwerk. So durchschreitet man die Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende mit immer neuen Gefühlen. Der Erzählungen sind viele, reiche, sie nähren die Gedanken und die Fantasie. Man trifft auf Konrad Klapheck, den Zyklus von Anna & Bernhard Blume, den jungen Ilya Kabakov und Rebecca Horn. Besonders drastisch und bedrückend sind die Kriegsbilder von Otto Dix. Die Ausstellung funktioniert, die Kunst des Erzählens mit der Kunst.« (Annette Bosetti, In der Aura des Hl. Severin, in: Rheinische Post, 15.9.2015)

»Zwei Jahre später wurde das Diözesanmuseum gegründet, das neben demjenigen in Paderborn das älteste seiner Art in Deutschland ist. Das Erzbistum Köln sichert seither durch die museale Aufbewahrung nicht nur das wertvolle Kulturgut. Die Präsentationsform der erhaltenen mittelalterlichen Kunstwerke im heutigen Kolumba-Museum verdeutlicht darüber hinaus, dass allein über ihre Einbindung in einen zeitgenössischen Kontext christliche Tradition langfristig vermittelt werden kann. Das Hauptwerk mit dem geschichtsträchtigsten Hintergrund ist das um 1450 entstandene Gemälde "Madonna mit dem Veilchen" des führenden Kölner Malers Stefan Lochner. Bereits in der ersten Ausstellung im Jahre 1854 wurde das Bild, das zwei Jahre zuvor unter großflächigen Übermalungen entdeckt und wieder hergestellt worden war, mit dem für Köln typischen Lokalstolz gefeiert. In Kriegszeiten retteten es der spätere Kardinal Joseph Frings und Wilhelm Neuss, damaliger Direktor des Diözesanmuseums, auf abenteuerlichem Wege vor der Beschlagnahmung durch Görings Agenten. Heute befindet es sich in dem Raum des Museums, der den Ausblick auf die Westfassade des Doms gewährt. Über seine Positionierung scheint es eine Verbindung mit ihm und der Geschichte Kölns einzugehen.« (Elke Backes, Wie das Rheinland seine Kunst rettete, in: Rheinische Post online, 27.10.2014)

»Man muss die Geschichte des 2007 im Herzen der Kölner Altstadt eröffneten Museums kurz erzählen und dann erst die Geschichte dieser Ausstellung. Kolumba ist einmalig. Er ist einer der ästhetisch überragenden Museumsneubauten jüngerer Zeit, von Peter Zumthor in zurückgenommenem Stil entworfen, errichtet über der Ruine der spätgotischen Kolumba-Kirche. Es gibt weder Hinweisschilder an den Wänden noch Audioguides für den Besucher; in diesem Schatzhaus der Kunst ist Überfüllung ausgeschlossen, weil Gruppenführungen nur außerhalb der regulären Öffnungszeiten möglich sind. Statt eine Cafeteria einzurichten hat man sich beim Neubau für ein lauschiges Lesezimmer entschieden, in dem erstmals philosophische Seminare gehalten werden. | Kolumba ist ein vom Erzbistum Köln finanziertes Museum, das sich ohne Zensur der Kunst öffnet und hingibt. Kardinal Joachim Meisner hat das Haus so gewollt und in seiner Freiheit intendiert. Sein Nachfolger Rainer Maria Woelki war auch schon da. Regie im Ausstellungswesen führt ein Kuratorenteam um Stefan Kraus. Jedes Jahr gibt es ein anderes Thema, Vorbereitungszeit: drei Jahre, Dauer: zwölf Monate. Gedankenschwere: garantiert. | Zeitnah will man sein mit den Themen, um die 60 000 Besucher, die jährlich kommen, in ihren Lebenswelten abzuholen. Dem zugrunde liegt ein ganzheitliches Verständnis des Menschen. "Wir sind Kunstvermittler und Brückenbauer", sagt Kraus. "Wir erklären Kunst durch Kunst, eine Ausstellung ist ein Ereignis in Raum und Zeit." Auch jetzt passt das Thema in die Zeit: "playing by heart" knüpft 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an das Dokument "Gaudium et Spes" von 1965 an, in dem es heißt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen einen Widerhall fände. " | Stefan Kraus sagt: "Kultur ist Lebenshilfe. Vor dem Hintergrund dessen, was in der Welt gerade geschieht - Flüchtlingselend, Kriegsgefahr und Armut - wollen wir uns damit beschäftigen, wie Freude und Hoffnung in Kunst und Kultur sichtbar werden. Kunst, so drückt es Kraus aus, ist Form gewordenes Spiel mit Inhalten. Und: Kunst erlaubt sich das Undenkbare. | In "Playing by heart", das wörtlich übersetzt "auswendig spielen" heißt, geht es darum, Gegenbilder des Schmerzes zu entwerfen: Um Glück und Aufbruch, Gegenwart, Vitalität - aber auch um Heiterkeit, Humor und Witz. Befragt wird der Stellenwert der ästhetischen Bildung, des zweckfreien Spiels und der Anerkennung künstlerischer Arbeit in einer durch Ökonomie und Effizienz weitgehend dominierten Gesellschaft. | In der Ausstellung setzt man auf die Glückserfahrung, die die Aneignung eines Werkes erbringen kann. Nicht zuletzt ist "playing by heart" eine sehr musikalische Angelegenheit wie auch eine Erzählung über die Liebe. | Die Liebe begegnet dem Besucher in fast allen Räumen. Ob ein Maler wie Robert Klümpen ein Zelt malt, auf das er in großen Lettern "Je t'aime" aufsprüht, oder ein anderer wie Peter Tollens einfach nur intensive monochrome rote Bilder herstellt. Der Bildhauer Heinz Breloh bringt in glasierten Terrakotta-Skulpturen durch unterschiedliche Farbigkeit Eros, Gewalt, Tod und Auferstehung zum Klingen, und sogleich entsteht ein Dialog. | Auf andere Weise erregen die beiden Eyecatcher im Obergeschoss Aufmerksamkeit: Ein wundersamer Gesell lehnt verloren an der Wand, zusammengesetzt aus Blechtonne, Holz, Forsythienzweigen und Textilien. | Der Künstler Michael Buthe war selbst ein Wanderer zwischen den Welten. Seine vielleicht als Alter Ego gedachte Skulptur könnte ein Flüchtling sein - ausgestattet mit den Resten von Natur, Technik und Kultur jedenfalls ein markantes Gleichnis für das Unterwegssein und das Verlorensein in der Welt. | Für diese Arbeit sucht der Museumschef noch Sponsoren. Ihr Nachbar im Raum soll auch für die Sammlung angekauft werden. Es ist die verrückte, wilde, in der Form an Achterbahn-Strecken erinnernde "Serpentinata" von Bernhard Leitner. Technisch betont, akustisch massiv und raumgreifend ist die Ton-Raum-Komposition aus Schläuchen, 48 Lautsprechern und 48 Endverstärkern. Um hier die Brücke zum Thema schlagen zu können, braucht es Geduld: Irgendwann folgt dem Zischen und Rauschen eine menschliche Stimme, es werden Texte von Novalis vorgetragen. | Aus zehn Jahrhunderten stammen die Werke dieser Ausstellung, sinnbildlich und intelligent sind sie miteinander verknüpft. Das erlebt man gleich beim Eintritt: Jeremias Geisselbrunn hat die Muttergottes mit Kind aus Alabaster im Jahr 1659 geformt, nach ihrer Zerstörung wurde sie 1995 restauriert: Das Jesuskind hält einen Ball oder die Weltkugel in der Hand, der Blick zwischen Mutter und Kind ist liebevoll. | Dieses Bildnis hat den Künstler Stefan Wewerka dazu inspiriert, einen Stuhl für Maria zu schreinern, der sich an den Torso mit Sockel schmiegt. Eine Liebesgabe war dies und beredtes Zeugnis dessen, wie Christus im Kolumba in die Herzen der Menschen einzieht. (Annette Bosetti, Im Kolumba macht Kunst glücklich. Das Museum des Kölner Erzbistums zeigt in seiner neuen Jahresausstellung, wie Kunst Lebenshilfe sein kann, Rheinische Post, 15.9.2014)

»Mit einer Störung beginnt der Rundgang durch die Kunstausstellung über Schreine – Untertitel: "Zeigen, verhüllen verbergen"! Gold, Perlen und Perlmutt erwartend, kostbare Reliquien ahnend, die wie wahre Schätze im Verborgenen ruhen – verschlossen für die Ewigkeit. Nun stellt sich doch ein riesiger rostiger Tresor fast trotzig in den Weg. Tausende Geldscheine hat der sicher fassen können, als er noch in Betrieb war. Vielleicht auch Juwelen und Aktien. Längst hat er diese Funktion verloren, er steht geöffnet da im lichten Eingang des Kolumba-Museums in Köln. Womöglich ist er ein Relikt der Finanzkrise ("alles verloren") oder zeugt von anderen Plünderungen. "Sicherheitsschrank" hat Felix Droese diese 1986 entstandene Arbeit genannt, die er ursprünglich in einem großbürgerlichen Ambiente platzierte. Sein Tresor hat in den Jahrzehnten an Bedeutung verloren und doch dazugewonnen. Er ist funktionell entwertet, die Tür steht weit offen. Er ist leer. Jetzt taugt er zum Denkmal oder Mahnmal. Rein formal betrachtet ist er einfach nur ein Kasten, ein Behältnis. Damit ist die Fährte zu dem faszinierenden Ausstellungsthema gelegt. Über durchaus profane Umwege richtet die neue Jahresausstellung im Kolumba-Museum den Blick viel später erst auf die Schreine, vier an der Zahl, außerordentlich kostbar und dem herausragenden Kirchenschatz aus St. Servatius in Siegburg entliehen. Eines der bedeutendsten Werke mittelalterlicher Goldschmiedekunst ist der Schrein des 1183 heiliggesprochenen Kölner Erzbischofs Anno (1056 – 1075), durch den gleich zwei Jubiläen repräsentiert sind: das 1700-jährige Bestehen des Erzbistums Köln, dessen erster Bischof Maternus 313 auf einer Synode in Rom urkundlich erwähnt wird; zum anderen das Gedenken an die Überführung der Gebeine der Heiligen Drei Könige, die 1164 – vor 850 Jahren – durch Erzbischof Rainald von Dassel als Kriegsbeute von Mailand nach Köln gelangten. Aufgehoben im Hochchor des Domes im Schrein des Nikolaus von Verdun, als dessen unmittelbarer Vorläufer der Anno-Schrein gilt, begründen sie den Aufstieg der Stadt zu einer Metropole des Mittelalters. "Köln ist durch den Reliquienhandel groß geworden", sagt Museumsdirektor Stefan Kraus, für den sich mit der Leihgabe aus Siegburg ein Traum erfüllte. Ausgehend von diesen kostbaren Schreinen entwarf er die Ausstellung. Verhüllen, Verbergen und Zeigen ist ein Thema, mehr noch ein Ritual, das die abendländische Kunst- und Kulturgeschichte durchzieht, das insbesondere in den großen Offenbarungsreligionen – Judentum, Christentum, Islam – von Bedeutung ist. "Durch Verhüllen Wesentliches sichtbar machen" heißt die Idee dahinter. Der Rest ist Glaube. Die Kölner Kuratoren haben aus der erzbischöflichen Sammlung die unterschiedlichsten Alltags-Objekte zusammengezogen. Allen ist gemein, dass sie kisten- und kastenförmige Ausmaße haben. So steht der formschöne "Schneewittchensarg" von Braun in der Vitrine, der einst Musik erzeugte, oder ein ebenfalls von Dieter Rams entworfenener Toaster; daneben ein Macintosh Classic M 0420 und weitere Gebrauchsgegenstände aus der Abteilung Angewandte Kunst. Diese ausrangierten Objekte aus Designerschmieden erhalten durch ihre gläserne Behausung museale Faszination: Wer sie betrachtet, erinnert sich, freut sich vielleicht. Jedenfalls erkennt er, wie Zeit vergeht, da Formen und Material sich verändern – nicht zuletzt die Funktion. Dem oft verborgenen Schatz der Erinnerung spürt auch das im Armarium versteckte Video von Kurt Benning (Jahrgang 1945) nach, das in einem kastenförmigen TV-Apparat in Endlosschleife läuft. Hinterlassenschaften einer aufgelösten Wohnung werden aufgezählt, man hört von Ehebett, Häkelgardinen und vom Nähnadelmäppchen der Marke Prym. Der Sprecher spricht ohne Gefühl und Wertung. Zu sehen ist wenig. So wird aus einem Video eine schwatzhafte Erinnerungskiste, die über Umwege das Leben zweier Menschen neu aufrollt und enthüllt. Die Assoziationskraft wird noch stärker gefordert, wenn auf der zweiten Museumsebene Malerei ins Spiel kommt. Eine dem Kästchendenken sehr entfernt liegende Disziplin? Mitnichten, sagt der Museumschef und lädt zur Expedition in tiefe Bilderwelten ein. "Malerei zeigt nicht alleine, was wir vordergründig sehen", sagt Kraus. "Malerei verweist auf das, was hinter der Farbe steckt." Bilder bergen Geheimnisse, andere Welten, Spekulations-Panoramen. Weiß-Schwarz verläuft das erste Spiel, mit dem die Malerei in Dialog zu Skulpturen und Objekten tritt: Eine Muttergottes vom Marienaltar in St. Kolumba, um 1650, ist bei aller Verletztheit der Skulptur anmutig – zart und hell. Ihrem Alabaster-Antlitz hängt ein sehr kleines schwarzes Ölbild von Alexej von Jawlensky gegenüber. Vertikale und horizontale dicke Pinselstriche formen sich darauf zu Grundzügen eines Angesichts, das als Ausblick in die innere Landschaft eines Menschen erscheint. "Große Meditation – der Mensch ist dunkler als die Nacht" entstand 1937, Antlitz und Kreuz wurden motivisch verbunden. Im selben Jahr wurden in Deutschland Konzentrationslager errichtet und Künstler als "entartet" gebrandmarkt. Weitere Korrespondenzen stellen sich im Raum 11 ein: Zu kleinen, edel verpackten Reliquienpyxiden aus dem Honoratus-Schrein gesellt sich das düster gemalte Triptychon von Christa Näher (Jahrgang 1947). "Schweinebild" hat es die Künstlerin im Untertitel genannt. In der Diffusion der Farben bleibt die Frage offen: Ist das hausförmige Gebilde mit dem eigenartigen First nicht auch eine Art Schrein? Oder gar der Beginn der Unterwelt? Im nächsten Raum eine neue Offenbarung: "Adam und Eva verbergen sich vor Gott" heißt das kostbare Alabaster-Relief von 1630, das in seiner Plastizität und Tiefe der biblischen Szene Bedeutung verleiht. Dazugestellt ist die kostbare Applikationsstickerei auf Samt aus der gleichen Zeit: "Antependium mit der mystischen Jagd im verschlossenen Garten". Die Verkündigung von Christi Geburt ist Thema, Tausende feine Stiche umhüllen die Botschaft. Immer wieder andere Dialoge ereignen sich: Blau markiert die Paintings von Rudolf de Crignis (1948-2006). Er schichtet Farbe, bis sie entmaterialisiert wirkt. Er will mit den Mitteln der Malerei transparente Lichterscheinungen erzeugen, was gelingt. Die Farbe verlässt die Leinwand, dringt in den Raum. Crignis' Bilder behaupten sich in ihrer Zartheit gegen das farbenprächtige Heilig-Geist-Retabel, das kurz vor 1449 in Nürnberg entstand. Ohne Dialogpartner ist einzig die Riesenkiste von Thomas Rentmeister (Jahrgang 1946). Das Objekt verweist auf unsere Zivilisation, merkwürdigerweise brummt es laut wie ein Eisschrank vor sich hin. Kolumba erweist sich mit dieser neuen Ausstellung wieder als Magnet in der rheinischen Museumslandschaft. Als Ort, an dem Kunst und Religion ein erbauliches Zwiegespräch führen. Wer hier angekommen ist, der fühlt sich wie im exklusiven Funkloch – in einer Anti-Welt zur digitalen Flut.« (Anette Bosetti, Kunst und Religion im Zwiegespräch, in: Rheinische Post / RP online, 28.9.2013)

»Einigen Bildern und Plastiken begegnet man im Kölner Kolumba-Museum schon wie guten alten Bekannten: Stefan Lochners anrührendem Gemälde "Madonna mit dem Veilchen", Janis Kounellis goldenem Raum "Tragedia civile" oder Richard Serras rauer Skulptur "Die Untergegangenen und die Geretteten". Sie wechseln nicht einmal ihre Plätze in den lichtdurchfluteten Räumen des Zumthor-Baus. Und erscheinen doch wieder in neuem Zusammenhang, da sie sich dem kuratorischen Leitmotiv der sechsten Jahresausstellung unterordnen. "Wenn Kunst Liturgie ist, ist dann Liturgie auch Kunst?" Diese Frage stellt Stefan Kraus in den Raum. Der Museumsdirektor sagt, die Antwort gebe die Kunst selbst. Wie immer hat sich das Haus am Rhein für die Ausstellung "Art is Liturgy" neu erfunden und Werkgruppen wie Einzelstücke seiner Sammlung zusammengefügt. "Unser Konzept der dialogischen Präsentation steht abermals auf dem Prüfstand", sagt Kraus. Die Kuratoren haben Dialogpartner aus unterschiedlichen Epochen der Kunstgeschichte gesucht, die inhaltlich verwandt erscheinen, doch formal Welten trennen. Quergeist Jürgen Klauke ist dabei, geboren 1943, auch Thorn Prikker (1868), Oskar Schlemmer (1888) und als Jüngster der Düsseldorfer Maler Robert Klümpen ( 1973). Hier schaut man auf Rebecca Horns Videoreihen, gleich daneben auf barocke Prozessionsfahnen, die am Fronleichnamsfest durch die Straßen getragen wurden. Das Armarium, die Schatzkammer, wurde erstmals ausgeräumt für die abstruse Installation Paul Theks, die einer sizilianischen Erfahrung entspringt und Inspirationen aus dörflichem Festumzug, religiöser Prozession und karnevalistischer Ausgelassenheit bezieht. In elf Meter Höhe schwebt die "Madonna auf dem Mond" mit Jesuskind aus Lindenholz (16. Jahrhundert). Gedankenverloren spielt der kleine Christus mit blutroten Beeren einer Weintraube – ein Hinweis auf den Kreuzestod und dessen Vergegenwärtigung in der Messfeier. Im großen zentralen Raum des ersten Stockwerks steht nun die gotische Monstranz aus Gold. Prachtvoll geschmiedet ist sie, mit Perlen besetzt, die auf einem Zylinder aus Bergkristall ruhen. Sie stammt aus Köln (um 1400) und ist das Herzstück der Ausstellung. In einem Dreieck wurde sie aufgestellt zu dem "Meatpiece with Butterflies" von Paul Thek und dem Triptychon "Pietà Rondanini II" des Priestermalers Herbert Falken. Die Konfrontation könnte auch hier größer nicht sein: Das Gold, das eklig anmutende "technological reliquiar" und die verhaltenen Graphitlinien auf weißem Zeichenpapier. Glücklich der Betrachter, der all dies zu einem Dreiklang im Kopf zusammenfügt. Ein Besuch im Kolumba erfordert immer Zeit und Ruhe. Die Stimmung eines Kirchenraumes verströmt Michael Buthes poetische Arbeit "Die heilige Nacht der Jungfräulichkeit" von 1966. Sie stellt die Summe seiner künstlerischen Vorstellungswelt von Mythos und Heiligtum dar, was das zentrale Thema seines Werkes ist. Die Entstehung des Lebens – zwei goldene eiförmige Körper erheben sich über brennenden Lichtern – wird auf 14 Kupferplatten nachgezeichnet. Und immer wieder stößt man auf den vielgestaltigen Kosmos des US-Amerikaners Paul Thek (1933 – 1988), der sich leitmotivisch durch "Art is Liturgy" zieht. Eine Behauptung, die er aufgestellt hat, und die im Kolumba erlebbar wird. (Annette Bossetti, Kunst und Religion im Dialog, Rheinische Post, 15.9.2012)

»"denken" – kleingeschrieben – verordnet uns der Museumsdirektor in seiner fünften Jahresausstellung, "aber nicht die komplizierten Kopfgeburten ohne Sinnlichkeit". Stefan Kraus und seine Kuratoren haben umgeräumt im schönsten Kunsthaus des Rheinlands, dem Zumthor-Tempel. Und sie haben wie gewohnt kein Event zu bieten, schon gar keine Blockbuster-Ausstellung. Die Kunst-Connaisseure im Museum des Erzbistums Köln, Katharina Winnekes, Ulrike Surmann und Marc Steinmann, verfolgen andere Ziele mit ihrer nachhaltigen Museumsarbeit. Alles, was gezeigt wird, stammt aus der Sammlung. Sie bringen mutig sakrale Schätze mit neuen, profanen, oft provokativen Werken in den Dialog. Nah bei Joseph Beuys' karger Munitionskiste aus den Siebzigern hängt ein anrührendes rheinisches Elfenbein-Kruzifix aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Zu Jannis Kounellis' berühmter Paraphrase der menschlichen Tragödie (Wand in Blattgold) hat man eines der Hauptwerke der Neuinszenierung gestellt: ein kostbares Blockbuch aus dem 15. Jahrhundert, von dem nur zwei Exemplare auf der Welt existieren. Mithilfe von Piktogrammen erschließt die Rarität aus der Frühzeit des Buchdrucks die Überlieferung der Evangelien. (Dazu erscheint ein Buch). Stefan Lochners berühmter "Madonna mit dem Veilchen" aus dem 15. Jahrhundert, die in einem Raum mit Domblick residiert, sind schlichte Ölfarbstudien von Peter Tollens (1983-1984) zugeordnet, auch Manos Tsangaris' "Implodierender Schreibtisch", ein auf den ersten Blick recht merkwürdiges Möbelstück, das als Vehikel gedacht ist. Denn täglich kommt frische Ware: Texte, Skizzen, Gedankensplitter, Fotos und Fotos von Fotos landen auf der hellen Holzplatte. Dies alles bildet eine "temporäre Tafel aus spiralförmig einwärts einfallendem Gedankentreibgut" – so der Künstler, der Kompositionsprofessor in Dresden ist. Über ein Jahr will man sich an diesem Tisch zu Gesprächen verabreden und vom Denken im Moment berichten, sich auseinandersetzen. Auch das hat Tradition im Kolumba – das Zusammenspiel von Bild, Wort und Ton. In diesem Museum inszeniert man in Räumen, oft sind es Konstellationen, die sich auf Anhieb nicht erschließen. Schildchen an den Kunstwerken sucht man vergebens, man soll schauen und vorbehaltlos auf sich wirken lassen. Die Kuratoren fordern Zeit vom Museumsbesucher und bieten Entschleunigung. Wer durch das Museum der Nachdenklichkeit gezogen ist, geht bereichert wieder heraus. Dieses Mal gedankenschwer. Ein unbehauener Klotz steht im Entree, Tuffstein auf geschichtetem Moselschiefer. Die Arbeit von Josef Wolf soll archaisch einführen. Der Bildhauer "denkt" mit der Erfahrung seiner Hände. Gleich im Treppenaufgang das erste gedankliche Scheitern, vorgeführt in einer kleinen Hommage an den kürzlich verstorbenen Bernhard Johannes Blume. Auf fünf Schwarz-Weiß-Fotos beschreibt er anekdotisch, was er unter dem Leitsatz "Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar" (1981) versteht. Er tastet, er schaut, er schmeckt, er stockt. Von da ab geht's bergauf. Kunst ist einer der wenigen Denkräume, der nicht zweckorientiert ist und sich der Forderung nach Effizienz widersetzt. In einer Zeit der Kommunikationsüberflutung wird die Kontemplation zur Tugend. Und zur Bedingung für tiefes Nachdenken. Das gelingt in dieser Ausstellung angesichts Dieter Kriegs Bilderwucht, Rune Mields' verschlüsselten Botschaften, Bernhard Leitners klingenden Raumreflexionen, John Cages Arbeiten in Aquatinta und Peter Zumthors Architekturzeichnungen. Witzig mittendrin ist ein Hügel mit ausrangierten Schreibmaschinen aufgebaut, zu denen sich das berühmte Bild von Konrad Klapheck einfindet: "Der Wille zur Macht". Als künstlerisches Medium erhält das Buch Gewicht. Die Schönsten dürften jene sein, die man nur erahnen kann: Sie werden in einer Bibliothek in der Antarktis aufbewahrt, in einem grünen Container im ewigen Eis. Davon berichtet ein ins Armarium (!) eingeschmuggeltes Video-Still. Jeder weiß: Das Buch kann schärfste Waffe sein.« (Annette Bosetti, Gedankentreibgut im Kolumba, RP online, 17.9.2001

»Nahe der hässlichsten Kölner Straße gelegen (Nord-Süd-Fahrt), lockt das Kolumba-Museum des Erzbistums Köln mit alten Kunstwerken in moderner Architektur. Neben dem Wallraf Richartz Museum ist es das älteste Museum der Stadt«. Die vier anderen Dinge sind: Seilbahn fahren, Schloss an die Hohenzollernbrücke hängen, Linus Talentprobe am Tanzbrunnen besuchen und ein Brauhaus aufsuchen. (RP online, 11.5.2011)

»Das von Architekt Peter Zumthor still und schön inszenierte Haus macht Kolumba zu einem Kunstort voller Magie. Wer nicht den Aufzug nimmt, steigt demütig die steilen Stufen hinauf. Ohne Ablenkung, ohne Kunstlicht, ohne Geräusche und Hinweisschilder – auf speckigem, hellem Stein. Das Diözesanmuseum ist seinem selbstgestellten Auftrag nach mehr als ein Museum, es versteht sich als ein Labor, das jedes Jahr wieder auf einen anderen Untersuchungsgegenstand gespannt macht. Kolumba hat einen schillernden, zwei Jahrtausende umfassenden Sammlungsschatz, aus dem Museumsdirektor Stefan Kraus mit seinen Kuratoren schöpfen kann. So räumt er einmal im Jahr das ganze Haus um und ordnet die Säle vor allem nach den ästhetischen Maßgaben der Werke. Seine Ausstellungen nennt er eine Versuchsanordnung. Jetzt, zur vierten Auflage, geht es ihm um ein dem Menschen nahes Thema: "Noli me tangere" – "Berühre mich nicht!" Oder: "Halte mich nicht fest" – so die zwei Lesarten des im Johannesevangelium überlieferten Satzes, den der auferstandene Christus an Maria Magdalena richtet, die weinend an seinem Grab steht. Auf drei Etagen sind in den 19 Sälen und drei Turmzimmern Gemälde, Skulpturen, Bücher und Installationen dialogisch ausgebreitet, die Selbstbild und Fremdbild des Menschen umkreisen und über die Spannung von Distanz und Nähe berichten. Das Begehren und das Anfassen-Wollen schwingt mit. "Auch der sexuelle Missbrauch in der Kirche hat mit Berührung und mit fehlendem Respekt zu tun", sagt der Museumsdirektor, so habe man dieses Thema nicht ausgespart. Die Schau über die zu bewahrende Unversehrtheit des Individuums erhält durch die Debatte um Missbrauch im Bereich der Kirche eine eigene Brisanz. Unfassbar einsam wirkt der Typ auf der gemalten Plastik von Darío Villaba, die im Raum schwebt – ein Mann mit zwei Seiten, gefangen in einer Blase, erstarrt in Denkerpose oder sogar in Depression, es lässt sich nur schwer ergründen. "La Espera" (Erwartung, Hoffnung) heißt diese Arbeit, der eine Aquarellserie von Michel Kalmbach an die Seite gehängt wurde. Es ist die drastische Geschichte vom kleinen und vom großen Paul, die der junge Pfälzer Künstler radikal illustriert und in explosiven Farben koloriert hat. Die wie ein Fries ausgebreitete Wandarbeit erinnert an ein Kinderbuch, doch sie zeigt die Verwundbarkeit kindlicher Seelen und Körper. Zum Glück gibt es ein Happy End, der kleine Paul wird errettet. Eine Ecke weiter liegt in der Vitrine ein aufgeschlagenes Buch: Zwei Fotos zeigen rote, bluttriefende Gebilde, vielleicht sind es Wunden. Daneben steht zu lesen: "Sich mit dem Realen zu konfrontieren, macht noch nicht fähig, es auszuhalten." Eindringlich dieses acht Jahre alte Kunst-Stück von Anna & Bernhard Blume; es heißt "Prinzip Grausamkeit – eine Polaroidserie." Neben dem modernen Medium Fotografie behauptet die Zeichnung hier ihren Platz. Erbaulich wirken die Graphitstudien vom Ende des 19. Jahrhunderts: Franz Heinrich Commans hat schreitende Kinderfüße, Hände und Locken meisterhaft zu Papier gebracht, das betont Sinnlichkeit oder – wie bei der Locke – den Wert von Erinnerung. Herbert Falken, Künstler-Priester aus dem Rheinland, hat Anfang der 70er Jahre Krankenbilder gezeichnet, die auf der documenta VI ausgestellt wurden. Das Besondere, das Grenzüberschreitende daran spürt man noch heute, die Begegnung mit dem versehrten Menschen, mit Behinderung und Tod. Als schrille Ausnahme überraschen Jürgen Klaukes rotgetonte Fotografien ("Annäherungsakrobatik"). Bernhard Leitner, der Schöpfer einer Klangskulptur, ist erstmals in Deutschland zu sehen. Beeindruckend in ihrer Fülle ist die Rauminstallation vom Krimhild Becker. Sie hat ein Sammelsurium des Todes in einem Raum aufgebaut, Masken, Vögel, Schädel, tierische und menschliche Skelette angebracht. Es ist Beckers moderne Wunderkammer – so wie dieses ganze Museum als zeitgemäße Wunderkammer dasteht. Auch weil es wagt, die fantasievolle Rauminstallation mit einem schlichten rheinländischen Lindenholz-Kruzifix von 1150 zu konfrontieren.« (Annette Bosetti, Der Mensch im Mittelpunkt, Rheinische Post, 16.9.2010)

»Dem flüchtigen Köln-Besucher wird es kaum auffallen – und trotzdem ist das neue Diözesan-Museum eines der schönsten Bauwerke der Stadt – neben Dom, romanischen Kirchen und den bekannteren Geschwistern wie dem Ludwig- oder dem Wallraf-Richartz-Museum. … Das vom Schweizer Weltarchitekten Peter Zumthor errichtete Diözesanmuseum zählt derzeit zu den aufregendsten Sammlungen Kölns." (Martin Kessler, Diözesan-Museum – ein Glanzstück der Stadt, in: Rheinische Post, 15.7.2010).

»Für die Beschreibung seiner internationalen Verdienste um die internationale Baukunst müssen spartenübergreifende Begriffe herhalten. Zumthor der Komponist, vielleicht. Oder auch Zumthor, der Erzähler? Ein Künstler jedenfalls ist er, der sich alle Zeit der Welt nimmt für seine Arbeit und despotisch das Tempo der Ausführung bestimmt bis zum Schlusspunkt. Nun wurde der 66jährige Graubündener zum Besten unter den Guten gekürt. Er nahm den undotierten, aber ehrenvollen Preis für Architektur in Frankfurt entgegen für das gelungenste Bauwerk der vergangenen zwei Jahre in Deutschland.« (Annette Bosetti, Köln siegt im Architekturvergleich, Rheinische Post, 29.1.2009)

»Und wer diesen Ort verlässt, hat am Ende seinen Kraftspeicher aufgefüllt. Mit Bildern und spirituellen Botschaften aus zwei Jahrtausenden, die dialogisch und bewusst kontrasierend zueinander in den Raum gesetzt worden sind. … Ab Sonntag kann das Publikum frei assoziieren zum Leitthema 'Der Mensch verlässt die Erde' – was eine nicht nur schmerzhafte, sondern auch poetische Tabuzone des Lebens einkreist, die Zustände des Dazwischen gemahnend. Ein Thema, das jeden angeht, früher oder später. Felix Droese ist der Titel zu verdanken, seiner gemalten farbgewaltigen gleichnamigen Trilogie von 1983/84. Das Triptychon wurde getrennt, zwei Bilder sind Heinz Brelohs schroffem Bronzeguss 'Lebensgröße' an die Seite gestellt; das dritte Bild ist das schönste und überraschendste des 58-jährigen ehemaligen Aktivisten an der Düsseldorfer Kunstakademie: Mit dickem Farbauftrag deutet er Himmlisches und Höllisches an, düstere und helle Stücke der Welt, mittendrin ein roter Funke – vielleicht auch eine Seele, wirklich das Herz, vielleicht auch einfach nur ein Symbol für Liebe? Wundervoll! … Dank des handlichen Kurzführers führt sich der Besucher in jedem Raum gut informiert. Und doch wird man staunen, Radio- und Fernsehapparaten der letzten 70 Jahre in einer Installation zu begegnen, gleich neben einem eindringlichen Film des Kölner Videopionieres Marcel Odenbach.… Empfindungen werden wachgerufen in dieser Schau, die Wahrnehmung wird geschärft.« (Annette Bosetti, Kolumba – das entschleunigte Museum, Rheinische Post, 13.9.2008)